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Verführerische Unschuld

Verführerische Unschuld

Titel: Verführerische Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE MERRILL
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sich hin, sein Gesicht vor Leid verzerrt. „Ich versuchte, ihr eine Nachricht zukommen zu lassen, doch die Franzosen hielten alle Tore besetzt, nichts und niemand kam durch. Ich weiß kaum noch, wie lange wir gegen die Stadt anrannten, bis uns endlich der Durchbruch gelang.“ Er wischte sich über die tränenfeuchten Augen.
    Als Esme ihm abermals tröstend ihre Hand entgegenstreckte, nahm er sie und umklammerte sie schmerzhaft, während er fortfuhr: „Unsere Männer dachten nur an Rache. Kaum waren sie in die Stadt eingedrungen, gab es kein Halten, doch ihre Wut richtete sich nicht nur gegen die Franzosen, sondern auch gegen die Einwohner. Zwei Tage wüteten sie, ehe wir Offiziere die Ordnung wiederherstellen konnten. Die ganze Zeit hatte ich nach Maria gesucht; hatte sie es geschafft, aus ihrem Haus, das nur noch ein qualmender Trümmerhaufen war, zu entkommen? Ihren Vater fand ich später, wie er, einem Wahnsinnigen gleich, durch die Straßen irrte, aber er wusste nichts über ihr Schicksal. Schließlich fand ich sie.“ Ein Zittern überlief ihn. „Sie lag am Fuß der Mauer, ihre Dienerinnen umringten weinend ihren Leichnam. Soldaten hatten ihren Vater aus dem Haus geprügelt, es geplündert und niedergebrannt. Und ihr hatten sie Gewalt angetan.“ Tränen stiegen ihm in die Augen. „Sie wollte mit der Schande nicht weiterleben. Da sie entehrt war, glaubte sie, ich könnte sie nicht mehr lieben, könnte ihr nicht vergeben, und stürzte sich von der Stadtmauer. Mit einem hatte sie recht – ich konnte nicht vergeben – mir selbst, weil ich meine Männer nicht hatte zügeln können, und weil meine Liebe sie getötet hatte, so wie zuvor Bethany.“
    „Aber deine Liebe hatte sie doch nicht getötet!“
    „Aber retten konnte meine Liebe sie auch nicht. Offensichtlich war es gleichgültig, ob ich leichtsinnig oder vorsichtig handelte, ob ehrenwert oder schurkisch, ich bedeutete für beide den Tod. Und ich lebte immer noch. Mein Bruder hasste mich, Marias Vater verfluchte mich.“
    Niedergeschlagen sah er sie an. „Verstehst du nun? Ich bin ein Habenichts, besitze kein eigenes Heim und kann dir keinen Schutz bieten. Ich will nicht schuld daran sein, wenn du in dein Unglück läufst! Dass deine Zukunft glücklich wird, kann ich dir nicht versprechen, aber wenigstens weiß ich, dass nicht ich dich unglücklich gemacht habe.“ Mit abgewandtem Gesicht sagte er: „Dazu … dazu bedeutest du mir zu viel.“
    „Lügner“, flüsterte sie. „Wenn ich dir ehrlich etwas bedeutete, würdest du nicht solchen Unsinn reden. Ich werde dir sagen, worum es wirklich geht. Zwei Frauen hast du geliebt, beide starben, und als sie dahin waren, bestraftest du dich und alle Welt dafür. Du führtest dich so skandalös auf, dass dein eigener Bruder dich aus dem Haus weisen musste. Dann fandest du eine neue Aufgabe und eine Karriere beim Militär, aber auch die gabst du auf, um dich, betäubt und gefühllos von Laudanum, in deinen Räumen zu verkriechen. Und jetzt fürchtest du, wenn du zugibst, mich zu lieben, wird alles von vorne beginnen, und du wirst es nicht überstehen. Erzähl mir also nicht, dass du in meinem Interesse so handelst! Du willst nämlich einzig und allein dich selbst schützen, deshalb verzichtest du lieber auf Gefühle, anstatt das Risiko einzugehen, erneut verletzt zu werden.“
    Mit gebeugten Schultern, den Kopf auf die Brust gedrückt, hockte er auf der Bank und weigerte sich, ihr ins Gesicht zu sehen, also sank Esme vor ihm auf die Knie und ergriff seine Hände. „Ich kann dir nicht versprechen, ewig zu leben. Aber ich bezweifle stark, dass ich sterben werde, weil ich dich liebe. Dass du, was finanzielle Sicherheit angeht, nicht viel zu bieten hast, ist mir gleich. Ich brauche nur eines, deine Arme, die mich umschlingen, das ist mir Sicherheit genug.“
    Noch immer sprach er nicht. Sie wartete auf die Worte, die sie sich so sehr ersehnte, auf ein Zeichen, dass sein Entschluss wankte, doch er schwieg nur.
    Schließlich erhob sie sich und strich mechanisch ein paar welke Blätter von ihrem Rock. „Nun denn, wenn du nichts fühlen willst, muss ich für uns beide fühlen. Vielleicht änderst du deine Meinung, wenn ich erst fort bin. Du wirst wenig gewonnen, doch viel verloren haben. Ich hoffe, die nächste Frau, die du liebst, hat mehr Glück als ich.“
    Er sah nicht auf, sagte aber endlich: „Eine nächste wird es nicht geben.“
    „Sei nicht albern. In London hattest du eine Mätresse, und wenn du genug

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