Verführerische Unschuld
Geld hast, wirst du wieder eine haben. Außerdem wirst du dir eines Tages einen Erben wünschen, und dafür brauchst du eine Frau.“ Dieser Gedanke machte Esme so wütend, dass sie nicht einmal weinen konnte.
Tonlos antwortete er: „Du magst recht haben. Aber du verstehst Männer so wenig, wie ich Frauen verstehe. Dass ich ohne Frauen leben würde, habe ich nie gesagt, aber ich muss sie nicht lieben, um meine Bedürfnisse zu stillen.“
„Dann bin ich froh, dass ich dich nicht erobern konnte. Du wirst deinem Ruf tatsächlich gerecht. Du könntest eine Frau so glücklich machen, glücklicher als ich je sein werde, aber du willst die Frauen nur benutzen, ohne ihnen etwas von dir zurückzugeben. Also muss ich dir wohl zustimmen: Dich zu heiraten wäre schlimmer als die Ehe, die mein Vater für mich arrangiert hat. Wenn ich einen völlig Fremden heirate, der mich nur benutzt, habe ich zumindest nicht die törichte Vorstellung, ich täte es aus Liebe.“
Rasch, ehe er ihre Tränen sehen konnte, wandte sie sich ab und ging zum Haus zurück.
Dieses Mal folgte er ihr nicht.
15. KAPITEL
Ohne Schlaf zu finden, wälzte Esme sich herum. Jede Nacht aufs Neue suchten sie in ihrem Bett süße Träume über St John Radwell heim, nachdem sie ihm während der späten Stunden Gesellschaft geleistet hatte. Nun plötzlich sollte sie ihn widerspruchslos aufgeben und, als wäre nichts geschehen, ihr früheres Leben wieder aufnehmen. Mochte ihre Vernunft auch seine Argumente verstehen, so wehrte ihr Körper sich doch gegen die Zurückweisung.
Es schlug elf. Sie lauschte der tickenden Uhr, die endlos Stunde um Stunde aufreihte. Sie würde sich fügen und nach Hause zurückkehren. Viel zu lange schon hatte sie die Gastfreundschaft des Dukes und seiner Gattin in Anspruch genommen; außerdem ertrug sie es nicht länger, sich beim Anblick Radwells jeden Tag erneut sagen zu müssen, dass ihr keine Zukunft an seiner Seite vergönnt war.
Möglicherweise fand Miranda noch eine Lösung, doch Esme wagte nicht länger zu bleiben, aus Furcht, ihr Vater würde sie unter den Augen ihrer Freunde fortzerren. Dieser Peinlichkeit mochte sie sich nicht aussetzen. Das wäre überaus schrecklich und mochte gar einen Skandal hervorrufen, wenn man ihn davon abzuhalten versuchte. Also musste sie wohl einsehen, dass ihr Plan, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, fehlgeschlagen war. Weder hatte sie Radwell dazu bringen können, um sie zu werben, noch hatte sie ihn verleiten können, sie zu seiner Geliebten zu machen. Er gab zu, dass er ihre Gesellschaft genoss, gleichzeitig behauptete er, die Gefühle zwischen ihnen seien nicht von Bedeutung, und das, obwohl sie in seinen Augen lesen konnte, was er für sie empfand – und das konnte sie nicht länger ertragen.
Am Morgen im Garten hatte er sie in sein Herz blicken lassen, er hatte fast geweint und ihr beinahe seine Liebe gestanden, doch letztendlich ihr den Trost dieser Worte verweigert.
Gut denn, er wollte es nicht anders, also würde sie ihn verlassen. Aber etwas würde sie noch von ihm verlangen, das war er ihr schuldig, wenn er sie schon in die Ehe mit Halverston trieb. Angstvoll dachte sie daran, dass diese Ehe ohne Liebe vollzogen werden würde.
Radwell hatte gesagt, er werde die Bibliothek nicht mehr aufsuchen. Doch sie wusste, wo sie ihn finden würde. Unauffällig hatte sie sich erkundigt, wo sein Zimmer lag, und nun wartete sie nur darauf, dass alle Bewohner des Hauses in Schlaf gesunken waren.
Endlich schwang sie sich aus dem Bett, warf ihr Nachtgewand ab und schlüpfte nackt in ihr Negligé. Ohne ein Licht anzuzünden, trat sie auf den Gang hinaus und huschte in den anderen Flügel hinüber. Vorsichtig lauschte sie an Radwells Tür, konnte jedoch nichts hören; allerdings schien ein schmaler Lichtstreifen darunter hervor.
Sie atmete tief ein, nahm all ihren Mut zusammen, drückte die Tür auf und schloss sie rasch wieder hinter sich.
Beim Schnappen des Schlosses sprang Radwell aus seinem Sessel am Kamin auf und fuhr herum. Auch er war schon im Hausmantel, bereit, zu Bett zu gehen. Als er sie erkannte, erschlaffte seine zum Angriff bereite Haltung. Seine Miene spiegelte Freude, dann Schmerz und Traurigkeit, schließlich völlige Erschöpfung. Unbewusst machte er einen Schritt auf sie zu, zügelte sich jedoch und blieb stehen.
„Geh in dein Zimmer zurück, Esme.“
„Nein, ich lasse mich nicht mehr fortschicken. Ich weiß, was ich will.“ Während sie ihm fest in die Augen sah,
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