Verfuehrerisches Geheimnis
Patrick war völlig klar, dass James hören wollte, dass Elizabeth ihn als ihren Nachfolger auf dem englischen Thron benennen würde. James wollte und brauchte Elizabeths Krone nicht nur, er verzehrte sich förmlich danach. »Darf ich den Brief anfassen?«
James reichte ihm das Schreiben. »Lies, wenn du musst.«
Ohne sie zu lesen, sah Patrick Elizabeths Worte im Kopf vor sich. Lass dich nicht von Schatten narren. Ich will nicht, dass mir ein Schuft nachfolgt. Ehrgeiz kann zu Staub oder Rauch werden.
Die Königin von England warnte ihn vor Intrigenspielen, und Patrick wusste sofort, dass James schuldig war. »Sire, Ihr habt Euch an Essex' Aufstand beteiligt und ihn unterstützt. Er war ihr Favorit, und dennoch hat sie ihn als Hochverräter aufs Schafott geschickt.«
James entriss ihm den Brief. »Ich habe nichts dergleichen getan!«
Patrick wusste, dass der König log, ebenso wie er wusste, dass nun Vorsicht angebracht war. »Sire, Elizabeth gibt Euch zu verstehen, dass sie Euch misstraut, und warnt Euch vor weiteren Intrigen.«
»Ich könnte ihren Argwohn in einem Brief zerstreuen und ihr Treue und Ergebenheit geloben, doch es gibt niemanden, dem ich dieses Schreiben anvertrauen kann, denn ich bin von Verrätern und Spionen umgeben. Nicht einmal Nicholson, Elizabeths Gesandtem in Schottland, würde ich das Schreiben geben. Er schwärzt mich bei jeder Gelegenheit bei ihr an und redet ihr ein, ich würde mit dem Papst gemeinsame Sache machen.«
»Ich kenne jemandem, dem Ihr trauen könnt, Sire. Robert Carey ist Kommandeur der English Middle March. Ich habe oft mit ihm zu tun und kenne ihn als Ehrenmann. Für seine Dienste in Frankreich wurde er geadelt, außerdem ist er ein Vetter der Königin.«
»Elizabeth hat mehr Vettern als ein Hund Flöhe. Der Grad der Versippung ist geradezu skandalös. Wenn ich mich nicht irre, ist Robert Carey einer aus der Brut des alten Hunsdon.«
»Ihr irrt Euch selten, Sire. Sämtliche Carey-Brüder waren Kommandeure an der Grenze, und Roberts Schwester ist Gemahlin Lord Thomas Scropes, des Constable von Carlisle Castle. Robert diente als Stellvertreter in der West March, bis er vor einem Jahr Kommandeur der Middle March wurde. Er lebt also schon geraume Zeit im Grenzland und ist ein starker Befürworter des Friedens zwischen unseren beiden Ländern. Ich könnte ein Treffen mit ihm arrangieren, Sire.«
»Würde er nicht in erster Linie Elizabeths Interessen dienen anstatt meinen?«
»Nicht wenn Ihr ihn für seine Dienste gut bezahlt. Er war früher ein ergebener Höfling, aber dieses Leben hat ihn finanziell ruiniert. Er entfloh dem Hof, um an der Grenze zu dienen; zufällig weiß ich, dass seine Entlohnung noch ausständig ist.«
»Bring ihn mir möglichst rasch. Ich brauche in England ein paar Getreue. So, und jetzt Schluss mit den Ausflüchten ... sag mir lieber, was die Zukunft für mich bereithält.«
Patrick lächelte schief. »Ihr seid hartnäckig wie ein Terrier, Sire.«
»Weil es so ist, als würde man versuchen, Wasser aus einem Stein zu schlagen. Ich muss es wissen, Patrick! Ich lebe wie im Fegefeuer. Wird Elizabeth mich zu ihrem Nachfolger erklären, oder werde ich Krieg führen und mir die Krone Englands gewaltsam aneignen müssen? Sei versichert, dass ich zur Wahrung meines Erbrechts sehr wohl in England einfallen würde. Aber wenn ich gegen die Engländer kämpfe, werde ich auch die Spanier gegen mich haben, die einen Katholiken auf dem Thron wollen.« James steigerte sich immer mehr in seine Erregung hinein und wischte sich dabei die Speichelflocken im Mundwinkel mit seinem Ärmel ab. »Vor allem aber muss ich wissen, wie lange Elizabeth noch leben wird. Manchmal fürchte ich, sie ist so ewig wie Sonne und Mond!«
»Sie ist nicht unsterblich, Sire.«
James leckte sich die Lippen. »England ist unsagbar reich. Der englische Adel lebt in Saus und Braus, während wir hier darben und alle meine Edlen verarmt sind. Es ist, als würde man vor einem Verhungernden eine Festtafel decken. Patrick, ich muss wissen, wie lange Elizabeth noch zu leben hat.«
Es ist das erste Mal, dass er wagt, seine Gedanken in Worte zu fassen. Er verzehrt sich geradezu nach einem Funken Gewissheit.
»Sieh meine armselige Krone an, und vergleiche sie mit ihrer!« James deutete auf eine Nische, in der seine Krone auf einem Samtkissen ruhte. Anstatt sie zusammen mit dem Staatsschwert und dem Zepter aus vergoldetem Silber aufzubewahren, hatte der König sie in seine Gemächer schaffen
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