Verfuehrt
kommt jetzt sehr plötzlich – aber könntest du kommen, bitte? Wir wissen nicht, ob sie die nächsten Tage überlebt.«
16
Ein Ruckeln erschüttert das Flugzeug und lässt den Mann im Sitz neben mir erschrocken die Luft einziehen. »Ist das normal?«, stößt er hervor, und ich sehe die Panik in seinen Augen, deshalb versuche ich, aufmunternd zu lächeln.
»Ja. Wir befinden uns wahrscheinlich schon im Landeanflug, und dann wackelt es manchmal«, erkläre ich ihm. Wie um meine Aussage zu bestätigen, gehen in diesem Moment die Anschnall-Zeichen über unseren Köpfen mit einem leisen Pling wieder an. Kurz darauf erklärt uns der Kapitän über den Lautsprecher, dass wir voraussichtlich in zwanzig Minuten auf dem Flughafen Fiumicino in Rom landen werden.
Mein Sitznachbar scheint jedoch weder meine Worte noch die Durchsage beruhigend zu finden, und ich muss an Matteo denken, der so konsequent nicht fliegt, auch wenn er mir noch nicht verraten hat, was genau der Grund dafür ist. Nicht, dass dieser Mann mich an ihn erinnert – er ist ein ganz anderer Typ und immerhin sitzt er hier, so schlimm kann seine Flugangst also nicht sein. Aber mein Gehirn scheint nur auf Gelegenheiten zu lauern, um Matteos Bild heraufzubeschwören, und da reicht eben auch schon eine entfernte Gemeinsamkeit.
Der Mann sieht jetzt über seine Schulter nach hinten zu den Toiletten, wohin die Frau, die auf seiner anderen Seite sitzt, vor ein paar Minuten verschwunden ist. Sie kommt in diesem Augenblick zurück, und er lächelt erleichtert, als sie sich wieder neben ihn setzt und sich anschnallt. Offenbar gibt er ihr, was das Trösten angeht, klar den Vorzug. Sie ist in seinem Alter, auch etwa Mitte Vierzig, und obwohl die beiden nicht zusammen reisen, haben sie sich auf Anhieb gut verstanden und unterhalten sich schon den ganzen Flug über angeregt. Und das ist mir sehr recht, denn für Smalltalk bin ich im Moment einfach zu angespannt. Eigentlich starre ich die ganze Zeit nur aus dem Fenster in die Dämmerung hinaus und wünschte, wir wären schon da.
Dabei kann ich von Glück sagen, dass ich der Stadt überhaupt schon so nah bin. Die Flüge nach Rom waren alle ausgebucht, und ich hätte theoretisch erst morgen Mittag eine Maschine nehmen können. Doch ich habe die Stewardess bekniet und ihr klar gemacht, wie dringend ich fliegen muss, und irgendwie hat sie es dann doch noch geschafft, mir einen Platz auf diesem Flug zu besorgen, der um kurz vor neun Uhr landen wird.
Ob ich noch rechtzeitig komme, weiß ich trotzdem nicht, und meine Gedanken kreisen ständig um Valentina und – natürlich – um Matteo. Nichts kann mich ablenken, ich kann mich weder auf die Zeitschriften konzentrieren, die die Stewardess uns angeboten hat, noch auf die Cartoons, die ab und zu auf den Bildschirmen über unseren Köpfen laufen. Das Einzige, was mich interessiert, sind die Daten zum Flug, die immer wieder eingeblendet werden. Die zweieinhalb Stunden, die wir jetzt schon unterwegs sind, haben sich dennoch endlos in die Länge gezogen und mir viel zu viel Zeit zum Grübeln gegeben.
Diese Zeit hatte ich nach Paolas Anruf nicht, denn da musste ich handeln. Mein Koffer war schnell gepackt, weil Mum, die ich sofort informiert habe, mir dabei geholfen hat. Ihr musste ich auch nicht erklären, wieso ich Valentina ihren Wunsch auf gar keinen Fall abschlagen kann. Dad schon. Der Termin in Canterbury dauerte nicht so lange wie gedacht, deshalb stand er plötzlich in der Tür, als ich gerade das Taxi gerufen hatte, das mich nach Heathrow bringen sollte.
Ich muss die Augen schließen bei der Erinnerung daran, wie wütend er war. Er hatte kein Verständnis für meinen überstürzten Aufbruch, wollte mich nicht gehen lassen. Mum hat zwar versucht, ihn zu beruhigen, doch er hat keines ihrer Argumente gelten lassen, im Gegenteil – er hat sie angeherrscht, dass ich genauso verrückt wäre wie sie, wenn ich nach Rom fliege. So hat er noch nie mit ihr gesprochen.
»Sie kann doch hier nicht alles stehen und liegen lassen für eine Frau, die sie nicht mal besonders gut kennt!«, hat er geschrien, und mir ist klar geworden, dass für ihn alles, was mit Matteo zu tun hat, immer noch ein rotes Tuch ist. Er hat mir sogar gedroht, dass ich nicht mehr wiederzukommen bräuchte, wenn ich jetzt gehe, so außer sich vor Wut war er.
Aber ich musste trotzdem fahren. Natürlich musste ich das. Nicht nur wegen Valentina, sondern auch wegen Matteo. Denn wenn es seiner Großmutter wirklich
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