Verfuehrt
zurück, weil er auf keinen Fall noch länger in London bleiben könnte, und dass er sich in Ihnen getäuscht hat, weil er jetzt wüsste, dass Sie ihn angelogen hätten. Er war furchtbar aufgewühlt, so habe ich ihn lange nicht erlebt. Das letzte Mal war er damals so, nach diesem schlimmen Sturz.«
»Als er sich die Narbe zugezogen hat?«, frage ich, und sie nickt.
»Körperlich hat er sich davon erholt, aber er konnte das einfach nicht begreifen. Es hat ihn furchtbar mitgenommen. Und dann passierte auch noch das Unglück mit Giulia, und danach hat er sich völlig zurückgezogen. Wir dachten alle, dass er da nie mehr rauskommt.« Sie seufzt und sieht mich ein bisschen weniger böse an. »Deshalb war ich so froh, als ich Sie mit ihm gesehen habe, Sophie. Ich dachte, er schafft es, das endlich alles hinter sich zu lassen und neu anzufangen, verstehen Sie?«
Doch ich verstehe leider immer weniger.
»Was hat ihn so furchtbar mitgenommen? Ich dachte, es wäre ein Unfall gewesen. Er ist durch eine Glasscheibe gefallen, hat mir seine Großmutter erzählt. Und dabei hat er sich diese schlimmen Verletzungen auf der Brust zugezogen.«
Überrascht sieht Harriet mich an. »Das war kein Unfall.« Sie runzelt die Stirn. »Dann wissen Sie es gar nicht?«
»Was?«
Einen langen Moment betrachtet sie mich und scheint sich nicht sicher zu sein, ob sie es mir erzählen soll, dann stößt sie die Luft aus. »Dass sein bester Freund ihn fast umgebracht hätte.«
15
Geschockt starre ich sie an, und ihr Blick wird viel weicher, verliert alles Aggressive, das vorher darin gelegen hat. »Er hat es Ihnen nicht erzählt?«
Ich schüttele den Kopf. »Er weigert sich, darüber zu sprechen.« Wieder sehe ich Matteos wutverzerrtes Gesicht vor mir, als ich mit ihm bei seiner Großmutter war und er befürchtete, dass sie mir das alles gesagt haben könnte. Er war richtig verzweifelt – und unglaublich angriffslustig, wie ein Raubtier, das man in die Enge gedrängt hat. Was plötzlich einen Sinn ergibt, wenn dieses Ereignis derart traumatisch für ihn war.
Matteos Mutter mustert mich prüfend. »Dann hätte ich vielleicht besser nichts gesagt«, sagt sie, und ich habe plötzlich Angst, dass sie auch wieder schweigen wird. Deshalb lege ich ihr die Hand auf den Arm und sehe sie flehend an.
»Nein, bitte. Ich muss das jetzt endlich wissen. Wie soll ich ihn denn verstehen, wenn ich keine Ahnung habe, was ihm passiert ist?«
Harriet zögert noch, aber nur kurz – und folgt dann meiner Einladung, sich an den Esstisch zu setzen.
»Ich koche uns einen Tee«, sage ich und räume die Fotos, die noch darauf liegen, zurück ins Arbeitszimmer. Der Katalog muss warten. Das hier ist wichtiger.
Als der Tee fertig ist, setze ich mich Harriet gegenüber, und sie sieht mich ein bisschen ratlos an. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Wie ist Matteo in diese Scheibe gestürzt?«, will ich wissen.
Sie seufzt. »Er hat sich geprügelt. Mit Fabio. Die beiden waren seit der Schulzeit befreundet, ein eingeschworenes Team. Ich denke, dass Matteo meinen Weggang aus Italien und später den Tod seines Vaters verkraften konnte, verdankt er auch Fabio. Die beiden haben immer alles zusammen gemacht.«
Und er hat ihn mir gegenüber nie erwähnt. Mit keinem Wort, denke ich erschüttert, während ich darauf warte, dass Harriet weiterspricht.
»Die Prügelei muss sehr schlimm gewesen sein, die beiden sind wohl sehr heftig aufeinander losgegangen. Sie waren in Fabios Haus, das überall diese Glastüren hat, und irgendwann ist es passiert: Ein Schlag von Fabio hat Matteo mit voller Wucht gegen eine davon geschleudert. Sie ist zerbrochen, und die Glassplitter haben sich in seinen Brustkorb gebohrt, einer davon so tief, dass er innere Verletzungen hatte und fast verblutet wäre. Es war unglaublich knapp, aber die Ärzte konnten ihn retten.«
Diesen Teil der Geschichte kannte ich schon. Doch das wirklich Entscheidende fehlt.
»Aber warum? Wenn die beiden so gute Freunde waren?«
»Matteo hatte erfahren, dass Fabio eine Affäre mit Giulia hatte«, erklärt seine Mutter. »Als er ihn damit konfrontierte, ist Fabio auf ihn losgegangen.«
Betroffen sehe ich sie an. »Wie schrecklich.« Kein Wunder, dass Matteo so reagiert hat, als ich ihn auf seinen besten Kumpel angesprochen habe. »Und wo ist dieser Fabio jetzt?«
»Er ging nach Giulias Tod weg, es heißt, nach Südamerika, aber das weiß ich nicht sicher.«
Sie trinkt von ihrem Tee, und ich blicke
Weitere Kostenlose Bücher