Verfuehrt
nachdenklich in meinen, spüre einen schmerzhaften Stich, als mir klar wird, dass er sich nur aus einem Grund mit seinem Freund so schlimm geprügelt haben kann.
»Matteo muss Giulia sehr geliebt haben«, sage ich leise.
Harriet stimmt mir jedoch nicht zu, wie ich es eigentlich erwartet habe.
»Ich weiß nicht.« Sie zuckt mit den Schultern. »Anfangs sicher. Aber die beiden waren noch so jung, als sie heirateten, und sie entwickelten sich in völlig verschiedene Richtungen. Ich glaube, sie hatten sich recht schnell nichts mehr zu sagen. Giulia war eine von diesen Frauen, die jedem Mann den Kopf verdrehen können. Sie war unglaublich hübsch und lebenslustig, hatte ein einnehmendes Wesen und feierte gerne, war der Mittelpunkt jeder Party. Aber sie hatte nie Verständnis für Matteos Arbeit. Sie fand es unnötig, weil sie nicht begriffen hat, wie viel ihm die Kunst bedeutet. Und das ließ sie ihn auch immer wieder spüren. Deshalb glaube ich eigentlich nicht, dass am Ende noch besonders viel von seiner Liebe übrig war.«
Verblüfft über diese Enthüllung sehe ich sie an. »Aber wieso reagiert er dann so empfindlich, wenn es um sie geht? Wieso spricht er nie über sie?«
»Weil sie so viel in ihm zerstört hat. Dass sie eine Affäre mit Fabio hatte, war nicht das eigentlich Schlimme, sondern dass sie Fabio dazu gebracht hat, für sie alles aufs Spiel zu setzen. Er hat sich mit Matteo geprügelt und ihn fast umgebracht, weil er Giulia liebte. Und er dachte, sie erwidert seine Gefühle. Dafür hat er das Leben und die Gesundheit seines Freundes, ohne nachzudenken riskiert – und das hat Matteo so schlimm getroffen. Dass Fabio ihre Freundschaft einfach weggeworfen hat – für die Liebe einer Frau, die sich weder aus ihm noch aus Matteo wirklich etwas gemacht hat. Wie sich herausstellte, hatte Giulia nämlich zahlreiche Affären, unter anderem mit dem Fluglehrer, der bei ihr in der Maschine saß, als sie abstürzte.« Sie zuckt mit den Schultern. »Matteo hat sich nie mit Fabio versöhnt, dessen Verrat ihn so schlimm enttäuscht hat. Aber das eigentliche Problem ist Giulia. Er gibt ihr die Schuld an allem, was passiert ist. Seitdem vertraut er Frauen nicht mehr – jedenfalls nicht, wenn es um sein Herz geht.«
Diese Informationen lassen Matteos Verhalten plötzlich in einem ganz neuen Licht erscheinen, und ich brauche einen Moment, bis ich das alles verdaut habe. Dann war Giulia gar nicht seine große Liebe, wie ich immer dachte. Aber sie ist trotzdem der Grund, warum er sich nicht mehr bindet.
»Deswegen will er sich nicht mehr auf eine Beziehung einlassen.« Ich spreche den Gedanken laut aus. »Weil er erfahren hat, dass Liebe alles zerstören kann.«
Harriet nickt. »Woran ich sicher auch nicht ganz unschuldig bin. Sein Vater und ich waren ihm schließlich kein gutes Vorbild.« Sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und sieht mich entschuldigend an, so als müsste sie auch vor mir rechtfertigen, was sie getan hat. »Ich habe Tommaso geliebt, und meine Söhne natürlich auch. Aber ich war sehr unglücklich in Italien, ich habe es einfach nicht geschafft, mir dort ein Leben aufzubauen, in dem ich mich wohlfühlte. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich dort nicht hingehöre, dass ich ein Fremdkörper bin in meiner eigenen Familie. Und ich musste gehen, bevor es noch hässlicher geworden wäre zwischen meinem Mann und mir. Wir standen kurz davor, unseren Ärger öffentlich auszutragen, unsere ganze Familie mit in die Streitereien zu ziehen. Es ging nicht anders, glauben Sie mir. Aber ich wollte die Jungs nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen, deshalb ließ ich sie bei ihrem Vater. Michele und Luca waren schon größer, sie hatten einiges mitbekommen, nur für Matteo war das schwer zu verstehen. Er fühlte sich furchtbar im Stich gelassen, deshalb wollte er auch nicht zu mir kommen, als Tommaso starb, sondern lieber bei seiner Großmutter leben. Valentina konnte ihn zwar irgendwann überreden, sich mit mir auszusprechen, und jetzt haben wir wieder ein gutes Verhältnis zueinander. Aber dass meine Liebe zu seinem Vater damals zerbrochen ist, hat sein Vertrauen in Beziehungen sicher nicht gestärkt.«
Mein Gott, denke ich, als sich das alles langsam zu einem Gesamtbild fügt, und blicke Matteos Mutter erschrocken an. Sie lächelt jedoch ein bisschen.
»Verstehen Sie jetzt, wieso ich mich so gefreut habe, dass er plötzlich Sie an seiner Seite hatte? Damit hatte ich nicht mehr gerechnet, dass es eine
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