Verfuehrt
Bett, auf dem Valentina Bertani liegt.
Erschrocken betrachte ich sie.
Ihre Augen sind geschlossen, und sie atmet offenbar selbständig, denn sie ist nicht intubiert. Alle anderen Vitalfunktionen werden jedoch mit Messdioden überwacht, die an ihre Arme und ihre Brust angeschlossen sind. Außerdem hängt sie an einem Tropf.
Aber am schlimmsten ist ihr blasses, eingefallenes Gesicht. Ihre weißen Haare, die sie sonst immer so hübsch frisiert hatte, sind durcheinander und zur Seite gedrückt, und auch die Falten in ihrem Gesicht wirken tiefer als sonst, lassen sie alt und verbraucht wirken, weil ihr Lächeln fehlt und das Blitzen ihrer Augen, das sie sonst so lebendig macht.
Erst jetzt begreife ich wirklich, wie schlecht es ihr geht, und ich schrecke davor zurück, näher an ihr Bett zu treten, weil sie in ihrem Zustand so absolut hilflos ist. So sollte sie nur ihre Familie sehen, die Menschen, die ihr sehr nahe stehen, denke ich. Doch als Paola, die auf einem Stuhl neben dem Bett sitzt, unsere Ankunft bemerkt, kommt sie sofort zu uns und umarmt mich, drückt mich fest an sich.
»Sophie! Wie gut, dass du da bist!«
Ich kenne sie eigentlich nur in schicken Klamotten und mit gekonntem Make-up, im Moment ist sie aber ungeschminkt und hat ihr braunes Haar zu einem Zopf gebunden, trägt Jeans und T-Shirt. Und sie lächelt so erleichtert und glücklich, dass ich meine Bedenken vergesse und mit ihr gemeinsam an Valentinas Bett trete.
Außer ihr ist niemand sonst im Zimmer, und als sie meinen suchenden Blick bemerkt, deutet sie zur Tür.
»Matteo und Luca sind kurz nach unten gegangen, einen Kaffee trinken«, erklärt sie mir, und ich nicke, immer noch erschüttert über Valentinas Anblick.
»Ist sie bei Bewusstsein?«, frage ich leise.
Paola nickt. »Aber sie ist noch sehr schwach. Sie schläft fast nur.«
Ich schüttele den Kopf, weil mich die Unsicherheit mit Macht einholt. »Ich … weiß nicht, ob ich wirklich hier sein sollte. Ich …«
»Sophie?« Valentinas Augenlider flattern und ihre Stimme ist ganz schwach, aber sie hat eindeutig meinen Namen gesagt.
»Ja, ich bin hier.« Vorsichtig setze ich mich auf die Bettkante und nehme ihre Hand, beuge mich vor, sodass sie mich besser sehen kann. Als sie die Berührung spürt, runzelt sie die Stirn und öffnet die Augen einen Spalt, versucht, ihren Blick scharfzustellen.
»Sophie«, sagt sie noch mal, und es klingt wie ein Seufzen. Ein Lächeln spielt um ihre Lippen, und ich erwidere es, froh darüber, dass die Valentina, die ich kenne und mag, immer noch da ist, auch wenn dieser Herzanfall sie gerade so schwächt.
Sie wird plötzlich unruhig, sieht über meine Schulter, und das Piepen des Herzmonitors, der ihren Puls überwacht, beschleunigt sich leicht. »Matteo? Wo … ist …?«
»Hier, Nonna .« Matteo muss eben zurückgekommen sein, denn er steht plötzlich hinter mir. Unwillkürlich halte ich den Atem an, als er sich vorbeugt, und seine Schulter meine berührt. »Ich bin hier.«
Valentinas Blick findet ihn, und wieder huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann aber fallen ihr die Augen zu, und das Piepsen des Herzmonitors fällt zurück in den Rhythmus, den es zuvor hatte – sie ist offensichtlich wieder eingeschlafen.
Sofort richtet Matteo sich auf und tritt einen Schritt zur Seite, und ich erhebe mich ebenfalls mit zitternden Knien, weil seine unerwartete Nähe mich völlig durcheinandergebracht hat. Aber es ist noch schlimmer, als unsere Blicke sich treffen.
Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen, und es ist ein bisschen, als würde die Zeit stehen bleiben, während ich sein Bild in mich aufsauge, Details an ihm wahrnehme. Sein Haar, das er mit der Hand zurückstreicht und das ihm trotzdem sofort wieder in die Stirn fällt, der Ausdruck des Erstaunens in seinen goldenen Augen, der sich, noch während ich hinsehe, in Misstrauen verwandelt, und seine breite Brust, die sich unter seinem Hemd hebt und senkt, so als wäre er gerade gerannt. Auch ohne Giacomos Hinweis wäre mir sofort aufgefallen, dass er schlecht aussieht. Sein Gesicht ist blasser als sonst, und unter seinen Augen liegen dunkle Ringe.
»Du bist also gekommen«, sagt er, doch das monotone Piepsen der Monitore überdeckt den Klang seiner Stimme, deshalb weiß ich nicht, wie er das findet. Nicht so gut, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
»Und Nonna hat sie erkannt«, sagt Paola sichtlich zufrieden und tritt wie ich einen Schritt zur Seite, als jetzt ein Arzt und eine
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