Verführt: Roman (German Edition)
ihm allein.
Mein Leben lang habe ich mich voller Stolz geweigert, mit Männern Ihrer Couleur zu verhandeln. Ich werde auch jetzt nicht damit anfangen.
Während Gerard das Schreiben in der Faust zerknüllte, tauchte das selbstgefällige Grinsen des Admirals vor seinem inneren Auge auf. Männer Ihrer Couleur. Eigentlich war es ein Witz, wie sich dieser Mann an seine Fassade aus Rechtschaffenheit klammerte. Aber Gerard hatte jeden Sinn für Humor verloren.
Als die See die Strahlen der Sonne löschte, umtanzten ihn unheimliche Finger aus Zwielicht. Gerard fürchtete die Dunkelheit nicht länger, sondern konnte es kaum erwarten, sich ihrer verführerischen Umarmung zu ergeben. Mit unendlicher Zärtlichkeit schloss er Digby die toten Augen und erinnerte sich daran, wie er für seine Mutter das Gleiche getan hatte. Was bedeutete schon ein Toter mehr für eine Seele, die so verflucht war wie seine?
Als er den Kopf hob, wich seine Mannschaft instinktiv vor seinem erstarrten Gesichtsausdruck zurück. »Es ist an der Zeit, diesem moralisch so überlegenen Snow zu zeigen, wozu ein Mann meiner Couleur fähig ist.«
Voller Ungeduld, ihrer Hilflosigkeit angesichts Digbys Tod Taten entgegenzusetzen, murmelten die Männer zustimmend und nickten einander aufmunternd zu. Doch statt das Kommando zum Angriff zu geben, ging ihr Kapitän auf die Kajütentreppe zu, und die absolute Autorität seines Rangs schwang in jedem seiner Schritte mit.
Kevin war der Einzige, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen.
Die Brüder sahen einander an. »Tu es nicht«, sagte Kevin leise. »Sie ist es nicht wert.«
Gerard betrachtete seinen Bruder aus zusammengezogenen Augen. Er hatte Kevin niemals geschlagen, und er würde es auch jetzt nicht tun. »Aus dem Weg, Mister«, fauchte er ihn an. »Das ist ein Befehl.«
Die unpersönliche Order traf Kevin härter als jeder Schlag. Er trat wie ein verprügelter Hund den Rückzug an. »Aye, Captain«, stotterte er, trat zur Seite und nahm Haltung an.
Gerard lief die Kajütentreppe hinunter zum Frachtraum, wo die Schatten ihn nicht länger verfolgten, weil er längst zu ihnen gehörte.
Als er die Kapitänskajüte erreicht hatte, hielt Gerard sich nicht lange mit Schlössern und Bolzen auf, sondern trat mit einem gezielten Tritt einfach die Tür ein.
Lucy blickte von ihrem Sitzplatz neben dem Tisch auf und blinzelte ihn an, als sei sie viel zu benommen, sich über Gerards sonderbare Art, sich Zutritt zu verschaffen, groß aufzuregen. Sie hatte im schwindenden Lavendelblau der Dämmerung gelesen und war von der Vergangenheit, die aus Mutters Tagebuch entstieg, so gefangen gewesen, dass sie das Drama, das sich direkt vor ihrem Bullauge abgespielt hatte, gar nicht mitbekommen hatte.
Die großen grauen Augen waren von frischen Tränen feucht. Gerard wappnete sich gegen Lucys tränenverhangene Schönheit. Zusammen mit Digby war auch sein Mitgefühl gestorben.
Für den Moment hatte er seine Wut ausgetobt. Er zog die schief in den Angeln hängende Tür zu und verschaffte ihnen etwas Privatsphäre. Lucy erhob sich, sah ihn an und drückte sich das Tagebuch an die Brust. Gerard war hochbefriedigt. Das hier war keine feige Auseinandersetzung, die sich hinter namenlosen Masken verbarg und kindische Freude daran hatte, Frauen zu tyrannisieren und alten Männern den Bauch aufzuschlitzen. Vor ihm stand eine Frau, die ihn kühn zu maßregeln wusste, wann immer er es verdient hatte, sei es, weil er ihr Rauch ins Gesicht geblasen hatte oder ihr die Augen verband und sie in die Besinnungslosigkeit küsste. Hier stand eine Gegnerin vor ihm, die seine Kräfte wert war.
Als Gerard wie ein Fremder aus den Schatten auf sie zukam, entglitt das Tagebuch Lucys tauben Fingern. Doch sie wich nicht zurück, weigerte sich standhaft, diesem Mann nicht von gleich zu gleich entgegenzutreten. Als sein Gesicht aus dem Dunkel auftauchte, schnappte sie unwillkürlich nach Luft. Sein Züge waren nicht mehr nur gut aussehend, sondern bargen das unwiderstehliche Versprechen satanischer Schönheit, bar jeden Mitleids und jeden Gewissens.
Er nahm ihr Gesicht mit einer trügerischen Zärtlichkeit in die Hände, die Lucy vor absonderlicher Sehnsucht frösteln machte. »Ein einziger Schrei, und meine ganze Mannschaft stürzt los, Ihre Tugend zu verteidigen, Miss Snow. Könnte Ihnen das nicht gefallen?«
»Ich kann mich an Zeiten erinnern, als ein einziger Schrei ausgereicht hätte, Sie meine Tugend verteidigen zu lassen.«
Doch Lucys
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