Verführt: Roman (German Edition)
Hoffnung schöpfen. »Was meint ihr, Männer? Soll diese tapfere Lady hier uns alle wie elende Feiglinge aussehen lassen?«
Seine Mannschaft brach in Jubelrufe aus.
»Ich sage, nein, Captain!«, schrie Tam, ein breites Grinsen im sommersprossigen Gesicht. »Falls sie bewaffnet ist, macht sie uns eh alle nieder!«
Strahlend vor Glück, warf Lucy sich ihm an den Hals. Gerard wirbelte sie im Kreis herum.
Pudge salutierte, wobei die zerbrochenen Augengläser ihn noch spitzbübischer als sonst aussehen ließen. »Soll ich die Fahne runterholen, Sir?«
Gerard schaute zum flatternden Symbol ihrer Niederlage empor. Ein hinterhältiges Lächeln spielte um seine Lippen. »Nein … noch … nicht.«
Lucy wich in gespieltem Schrecken zurück. »Mein Güte, Mr. Claremont, das können Sie doch nicht tun!«
Er grinste sie anzüglich an. »Ich bin ein Schurke, Miss Snow, erinnern Sie sich? Ich pflege nicht fair zu kämpfen.«
»Das tut er auch nicht.«
Sein Lächeln schwand, als er an all das dachte, das er riskierte – sein Schiff, seine wunderbare Mannschaft und dieses kostbare Gefühl, das sie alle im Gleichklang verband. Während er mit den Lippen Lucys Mund suchte und sich an ihrem Geschmack ergötzte, hatten sich seine Männer schon ihre Aufgaben gesucht und bereiteten das Schiff auf die unvermeidliche Schlacht vor.
Widerwillig lösten sich seine Lippen von den ihren. »Du gehst nach unten und bleibst da. Was immer du auch hörst, komm nicht herauf.«
»Ist das ein Befehl, Captain?«
»Und ob das einer ist. Und ich erwarte Gehorsam.«
Lucy trat einen Schritt zurück und salutierte so formvollendet, dass Smythe vor Stolz gestrahlt hätte. »Aye, aye, Sir. Ich lebe dafür, Vergnügen zu bereiten.«
Gerard lächelte und betrachtete anerkennend Lucys unkonventionelle Uniform. »Das tust du allerdings.«
Lucy flog ein letztes Mal in seine Arme. Ihre Lippen drückten sich so heftig auf seinen Mund, als könne ihr Kuss allein ihm die Stärke geben, die es brauchte, den Admiral niederzuringen. Gerard hatte kaum die Kraft, sie loszulassen.
Und als sie sich zum Gehen wandte, um seinem Befehl nachzukommen, fühlten sich seine Arme so leer an wie nie zuvor.
Lucy schaffte es nicht weiter als bis zum unteren Kanonendeck, wo sich die Kanoniere auf die Schlacht vorbereiteten und fünf Schießpulveräffchen, allesamt noch in der Pubertät, sich stritten, wer zum Kanonier befördert werden sollte, jetzt, wo der Oberkanonier tot war.
Ein gertenschlanker Bursche, das Gesicht von Pockennarben übersät, bohrte einem anderen Jungen den knochigen Finger in die Brust. »Ich werd’ nächsten Monat achtzehn. Für so was braucht es einen Mann, kein pickeliges Kind.«
Die Stimme seines Kollegen quietschte vor Entrüstung. »Du bist vielleicht älter, aber ich war schon vor dir an Bord. Ich bin seit der Jungfernfahrt beim Captain.«
Die anderen mischten sich ein, und der Streit artete bald in ein lautes Geschrei mit wechselseitigen Beleidigungen aus, und zwar nicht nur hinsichtlich der Mannhaftigkeit der jeweiligen Streithähne, sondern auch, was das Temperament und den Ehestand ihrer mutmaßlichen Mütter anging. Ein wenig fruchtbares Unternehmen, da die meisten von ihnen von Geburt an verwaist waren.
»Gentlemen!« Lucys wenig damenhaftes Gebrüll sorgte für fassungslose Stille. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ist dieses Gezänke wirklich notwendig?«
Die Burschen schauten sie nervös an. Sie wussten, die Frau des Kapitäns war nicht zu unterschätzen, wie zart sie auch aussehen mochte.
Lucy senkte die Stimme zu jenem schmeichelnden Tonfall, in dem sie Sylvies jüngere Brüder nach einem Schultertuch oder zum Limonadeholen schickte. »Ich bin sicher, Mr. Digby würde gewollt haben, dass dieser Disput manierlich beigelegt wird.«
Die Burschen sahen einander verblüfft an. Manierlich war nicht gerade ein Wort, das sie mit dem streitsüchtigen »Mr.« Digby in Verbindung gebracht hätten.
Lucy seufzte. »Also gut.« Sie zeigte auf den einzigen Jungen, der nicht gedroht hatte, das Dilemma mit Fäusten zu lösen. »Sie, Sir, sind hiermit zum Kanonier befördert.«
Der Junge mit der leisen Stimme kratzte sich den Kopf, während seine Kollegen leise murrten. »Aye. Aber dann haben wir ein Schießpulveräffchen zu wenig. Wer soll mir die Kanonenkugeln herrichten?«
Lucy besah sich die Schießpulverfässchen und die Achtzehnpfünder aus Eisen, die wie Dracheneier den engen, langen Laufgang entlang lagen, und lächelte
Weitere Kostenlose Bücher