Verführt: Roman (German Edition)
mit ihm zu reden. Sag ihm, dass er einen schrecklichen Fehler macht.« Pudge schüttelte nur traurig den Kopf. »Deswegen bist du doch nicht von Zuhause fortgelaufen? Damit deine hinterhältige Frau zusieht, wie sie dich in Newgate hängen.«
Sie wischte die Tränen fort, bevor sie sie blind machten, und wandte sich an Apollo. Eine hässliche Strieme verunzierte seine Schläfe. Sie packte ihn am Arm. »Apollo, lieber Apollo, wenn irgendwer ihn aufhalten kann, dann bist du das! Mein Vater wird ihn nicht vor Gericht bringen. Er wird ihn umbringen. Jetzt. Heute Nacht. Und er wird dafür sorgen, dass der Rest von euch hängt oder im Gefängnis landet. Ist es das, was du willst? Den Rest deines Lebens in Ketten verbringen?« Ihre Bitten rührten den ehemaligen Sklaven nicht, seine Gesichtszüge waren wie in Ebenholz geschnitzt.
An der Reling des Hinterdecks stand eine einsame Gestalt. Lucy stürzte in verzweifelter Hoffnung, der Hysterie nahe, auf ihn zu. »Kevin! Er ist dein Bruder! Du kannst ihn bestimmt zur Vernunft bringen. Der Admiral wird mich zum Schweigen bringen, wenn wir kapitulieren. Er hat inzwischen begriffen, dass ich von seinen Verbrechen weiß. Ich könnte ihn belasten. Ich könnte seine geheiligte Reputation zerstören!« Aus Kevins blondem Haar tropfte das Blut. Sie wischte es ihm mit zitternden Fingern von der Stirn.
Kevin schob sacht ihre Hand fort. Mit dem gequälten, wehmütigen Blick glich er so sehr seinem Bruder, dass es Lucy eiskalt bis ins Mark traf.
Sie drehte sich im Kreis herum, sah jeden der Männer flehentlich an. Einst hatte sie genau hier gestanden und sie aufgefordert, ihren Kapitän zu hintergehen; jetzt verlangte sie von ihnen, dass sie sein Leben retteten. Der Wind zerrte an Lucys Haaren und trocknete ihre Tränen.
»Begreift ihr das denn nicht? Der Admiral wird einen Weg finden, euch alle zum Schweigen zu bringen. Warum, glaubt ihr, ist er mit nur einem einzigen Schiff hier? Weil er keine Zeugen will!«
Sie brach vor Erleichterung fast zusammen, als sich von hinten ein warmes Paar Hände um ihre Oberarme schloss. Endlich jemand, der ihr half, den Kapitän zur Vernunft zu bringen! Doch die Stimme an ihrem Ohr gehörte Gerard.
»Ich kann mit dir an Bord keine Schlacht riskieren. Auf diese Art hast wenigstens du eine Chance. Wenn der Admiral uns vom Wasser fegt, hast du nicht die Spur einer Chance. Die Männer hier haben sich für dieses Leben entschieden und damit auch für den möglichen Tod. Sogar Digby hatte sein Schicksal in der Hand.« Er ging mit ihr nach Backbord und zeigte ihr – nicht aus Grausamkeit, sondern aus Liebe – das entsetzliche, in Segeltuch gewickelte Bündel, das reglos auf dem Vorderdeck lag.
Lucy wurden die Knie weich, aber Gerard stützte sie, wie er es von Anfang an getan hatte.
Sein Griff war derb vor Trauer, als er sie an sich zog. »Du bist nicht wie diese Männer, Lucy. Ich habe dich aus deiner sicheren, geordneten Existenz herausgerissen und dich gewaltsam an Bord dieses Schiffes verschleppt. Du hattest nie eine Wahl.«
Lucy befreite sich aus seiner schützenden Umarmung, um ihm ins Gesicht zu sehen. Ihre Entschlossenheit vertrieb jede Hysterie. Ihre Stimme war klar wie der Klang einer Glocke über die Wellen. »Dann treffe ich jetzt eine Wahl. Tu es nicht. Ich bin es nicht wert.«
Gerard warf mit einem verzweifelten Lachen den Kopf zurück. Seine Augen strahlten vor Bewunderung und jenem anderen, zerbrechlicheren Gefühl, das Lucy den Atem verschlug. »O Gott, Lucy. Du bist ein Engel. Du bist absolut unbezahlbar.«
In ihrem Herzen flackerte Hoffnung auf. Sie packte ihn mit Fäusten am Hemd und schüttelte ihn. Ihre Stimme erhob sich zu einem Schrei, der den Wind herausforderte, die schreckliche Fahne und vor allem die selbstgefällige Ruhe von der Argonaut .
»Dann, bei Gott, lass ihn nicht gewinnen! Kämpfe! Kämpfe für mich! «
29
Gerard betrachtete die zarte, aber entschlossene Faust, die sein Hemd umklammerte. Wie es schien, genügte es Lucy nicht mehr, des Admirals braves Püppchen zu sein. Sie nahm ihre Hoffnungen und Träume selbst in die Hand und zog Gerard zu guter Letzt jenem Mann vor, den sie ihr Leben lang für ihren Vater gehalten hatte. Gerards Feind war auch der ihre geworden.
Sie war willens, für ihn betteln zu gehen, willens, für ihn zu kämpfen, willens, für ihn zu sterben. Durfte er ihr weniger offerieren?
Als er die Augen hob, lag die vertraute Entschlossenheit in seinem Blick und ließ seine Männer
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