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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Lucy das zitternde Kind aus den Armen. »Nehmen Sie bloß Ihre dreckigen Finger weg!«, schrie sie.
    Das kleine Mädchen hing wie ein blasses Äffchen am Hals ihrer Mutter, doch ihr hingerissener Blick galt immer noch Lucy.
    Lucy erhob sich und umklammerte das verschmutzte Abendtäschchen. »Sie scheint sich nichts gebrochen zu haben, Madam. Wir denken, sie ist in Ordnung.«
    »Was solche wie Sie denken, na danke!«, geiferte die Frau.
    Gerard hielt unwillkürlich den Atem an und wartete darauf, dass Lucy die Frau schalt, weil sie ihr Kind auf der Straße hatte herumlaufen lassen. Aber Lucy reagierte mit derart stoischer Würde, dass die Frau sich zu einer unflätigen Tirade hinreißen ließ.
    Gerard konnte nicht schweigend dabeistehen, während Lucy eine Abreibung hinnahm, die nicht ihr gebührte. Als die Frau eine Pause einlegte, um Luft zu holen, trat er in die Schusslinie. »Verzeihen Sie, Madam. Vielleicht haben Sie die Situation missverstanden. Es war nicht Miss Snows Kutsche, die das Kind fast überfahren hätte. Miss Snow hatte lediglich die Güte, anhalten zu lassen, um nach dem Befinden Ihrer Tochter zu sehen.«
    Etwas an seinem Benehmen ließ die Frau einen Schritt zurücktreten. Die durchnässte Hutfeder knickte endgültig ab und verdeckte eins ihrer Augen. »Macht keinen Unterschied, wer sie zusammengefahren hat. Ihr seid alle gleich. Selbstsüchtige Bastarde, allesamt.«
    Lucy fummelte in ihrem Täschchen herum. Bevor Gerard sie noch daran hindern konnte, hielt sie der Frau schon ein Bündel Pfundnoten hin. »Bitte«, sagte sie. »Nehmen Sie das hier als Ausgleich für die Schwierigkeiten. Bringen Sie die Kleine zu einem Arzt, und besorgen Sie ihr etwas Warmes zu essen.« Es war mehr Geld, als er im ganzen Monat verdiente, stellte Gerard fest.
    Hungrig hing der Blick der Dirne an dem kleinen Vermögen in der behandschuhten Hand. Schließlich griff sie danach und schleuderte Lucy das Geld ins Gesicht. Lucy erbleichte, zuckte aber mit keiner Wimper. Eine knisternde Banknote verfing sich in ihrem Haar, die anderen flatterten in eine Pfütze.
    »Sparen Sie sich Ihre verfluchte Wohltätigkeit! Ich arbeite für mein Geld und bin stolz drauf.« Sie wandte sich ab und warf Gerard einen trotzigen Blick zu, während sie immer noch das Kind an den ausladenden Busen drückte. »Wenn Sie die Duchess besteigen wollen, dann kommen Sie später zurück. Ich tät mich freu’n, mir mit dem Talent, was der liebe Gott mir gegeben hat, mein Geld zu verdienen.«
    Gerard fühlte, wie seine Lippen zum mitleidlosen Strich wurden. Er tippte sich an den Hut. »Bringen Sie Ihre Tochter nach Hause, Madame. Da gehört sie hin.«
    Keiner von Lucys unbeholfenen Entschuldigungsversuchen hatte die Frau so aufgebracht wie jetzt Gerards sanfte Ermahnung. Mit unartikulierten Zorneslauten zerrte sie sich die Hutfeder aus dem Gesicht und marschierte davon. Das kleine Mädchen blickte über ihre Schultern zurück. Sein unglückseliger Blick traf Gerard ins Mark. In ein paar Jahren würde auch die Kleine für ein paar Pennies auf der Straße ihren Körper verkaufen, das wusste er nur zu gut.
    Bemüht, dem Ort und den Erinnerungen so rasch wie möglich zu entfliehen, wandte er sich Lucy zu.
    Sie schaute dem Kind hinterher, die Miene bekümmert, das Haar ins Gesicht hängend, das schöne Kleid dreckig und zerrissen. Die nasse Seide klebte an ihrem schlanken Körper, als sei sie die Venus selbst, die gerade dem Meer entstiegen war. Die Kaschmirstola und ein Schuh lagen in einer schlammigen Pfütze. Aus einem Riss in ihrem linken Strumpf lugten die nackten Zehen hervor.
    Gerard wusste, dass er einem schrecklichen Irrtum erlegen war. Die Frau, für die er sie gehalten hatte, hätte er stehen lassen können, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen. Doch das hier war eine andere Frau. Eine, deren Lippen vor Verletzlichkeit bebten. Eine, in deren rußschwarzen Wimpern die Tränen hingen. Eine, der er nicht widerstehen konnte.
    Er zog seinen Gehrock aus und legte ihn sacht um ihre Schultern. »Kommen Sie, Lucy. Die Kutsche wartet.«
    Er geleitete sie über die verstreuten Pfundnoten zum Wagen. Lucys Großzügigkeit war nicht verschwendet. Aus den finsteren Hauseingängen und Gassen krochen schon Schatten herbei, die sich das Geld holen würden.
    »Ich habe mich noch nie so geschämt«, gestand sie, als sie wieder in den ledernen Polstern der Kutsche saßen.
    »Sie waren nicht diejenige, die das Kind fast überfahren hätte.«
    Sie zupfte an ihren

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