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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Glasscherben, saß Smythe im Schneidersitz vorm Schreibtisch auf dem Boden, die Uniform zerknittert und verschmutzt.
    »Beim Heiland, Smythe! Nicht das Stundenglas! Erst zerbricht dieser Trottel Claremont meine Lieblingsbüste, und jetzt das! Ich warne Sie, Mann. Das ziehe ich Ihnen vom Lohn ab, und glauben Sie ja nicht, ich täte es nicht. Dieses Stundenglas habe ich seit meinem ersten Kommando auf der HMS …«
    Die unablässigen, sinnlosen Handbewegungen seines Butlers verwirrten den Admiral derart, dass er den Faden verlor. Smythe schöpfte ständig Sand zusammen, doch egal wie fest er die Hände zur Faust ballte, der feine Sand rieselte ihm durch die Finger, bis er gezwungen war, wieder von vorne anzufangen. Kleine Schnittwunden liefen kreuz und quer über die Knöchel.
    »Smythe?«, flüsterte der Admiral, von unerklärlichem Schrecken erfasst.
    Für das Gebrüll des Admirals war Smythe taub gewesen, doch das vorsichtige Flüstern ließ ihn den Kopf heben. Sein Gesicht wirkte verstört und teigig grau.
    Er blinzelte ein-, zweimal wie ein Kind, das aus einem schlechten Traum erwacht. »Sie ist weg, Sir. Er hat sie geholt.«
    Während der Butler die blutleere Hand zur Faust schloss und das letzte bisschen Sand durch die Finger rann, stolperte der Admiral rückwärts und musste sich auf seinen Gehstock stützen, sonst wäre er gefallen.

ZWEITER TEIL
     
    Lieber die Hölle regieren als im Himmel dienen.
    JOHN MILTON
     
     
    Zieh los, töte, erfreu mich,
aber erst komm und küss mich.
    ANONYMUS
16. Jahrhundert

18
     
    Die vertraute schaukelnde Bewegung beruhigte Lucy. Sie fühlte sich wie im Bauch eines riesenhaften, aber sanftmütigen Ungeheuers, das nichts anderes im Sinn hatte, als sie vor allem Leid zu bewahren. Schon bevor sie alt genug gewesen war, ihr Behagen in Worte zu fassen, hatte sie diesen Rhythmus gekannt. Schon bevor sie alt genug gewesen war, davon zu träumen, von einer Mutter, die sie nie gekannt hatte, in den Armen gewiegt zu werden.
    Trübes Licht drang durch ihre geschlossenen Lider. Sie schlug die Augen auf. Sie nahm Gerards vertrautes, lieb gewordenes Gesicht wahr, von Sorgen gezeichnet.
    Bruchstückhaft kehrte die Erinnerung zurück, zerstückelt, aber vollständig. Eine Woge aus Glückseligkeit erfasste Lucy.
    Gerard hatte sie nicht im Stich gelassen. Irgendwie hatte er ihren erstickten Schrei mitbekommen und war, wie schon so oft, zu ihrer Rettung geeilt. Er war nicht fähig, sie zu verlassen oder seine Gefühle zu verleugnen. Sie standen ihm ins Gesicht geschrieben, so klar und deutlich wie die unaussprechliche Angst, die seine Augen zu rauchigem Topas verdunkelte.
    Sie hob die Hand an sein Gesicht, um ihm mit besänftigender Geste die düsteren Vorahnungen aus dem Gesicht zu streichen.
    Doch auf halbem Weg ans unrasierte Kinn stockte ihre Hand.
    Sie runzelte verwirrt die Stirn. Wenn Gerard sie vor den Niederträchtigkeiten Dooms bewahrt hatte, warum knarrte ihr Bett dann wie das Deck eines Schiffes, das unter vollen Segeln stand? Warum verhärteten sich seine Gesichtszüge zusehends? Warum waren die jungenhaften Züge mit unbarmherzigen Strichen gezeichnet, als wolle der Künstler seinem Modell jede Gnade, jede Zärtlichkeit, ja sogar den letzten Rest an menschlicher Güte absprechen?
    Lucys ausgestreckte Hand fing zu zittern an.
    Sie senkte die Augen, um seinem forschenden Blick zu entgehen. Er wusste es, begriff sie endlich. Mit übermenschlichem Instinkt wusste er auf die Sekunde genau, wann sie zu zweifeln begonnen hatte.
    Ohne dass sie es wollte, schoss ihre Hand nach vorn. Er wich nicht zurück, er versuchte nicht, sich zu schützen. Sie hätte ihm geradewegs ins Gesicht schlagen können, er hätte mit keiner Wimper gezuckt.
    Wie eine verzweifelt Liebende klammerte sie sich an sein weißes Hemd, beachtete nicht, wie die Nähte rissen. Wie lang war es nun her, dass sie seine Brust hatte entblößen wollen, um sie zu liebkosen? Ein ganzes Leben? Sie rupfte das Leinen nach hinten und entblößte seine rechte Schulter.
    Eine einzige schmale Narbe verunstaltete das makellose Zusammenspiel aus Sehnen und Muskeln. Lucy berührte sie mit den Fingerspitzen, erforschte in dumpfem Schock die ungleichmäßigen Ränder.
    Mit unerbittlichem, gleichzeitig aber sachtem Griff packte Gerard sie am Handgelenk. Lucy hob langsam den Blick und fürchtete bereits, was sie in seinen Augen sehen würde.
    »Gerard Claremont«, sagte er, die Augen funkelnd vor Sarkasmus. »Meine Freunde nennen mich Gerard,

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