Verführt: Roman (German Edition)
verwandelt und mit meisterhaftem Geschick dafür gesorgt, dass die Lust nicht zum Schmerz wurde. Jetzt fummelten genau diese Hände unbeholfen an den Knöpfen des Hemds herum, als seien die Finger zu Eiszapfen erstarrt, denen jede Anmut und jedes Gefühl abging.
Gerard konnte es sich nicht leisten, behutsam mit ihr umzugehen. Er hatte keine tröstenden Worte mehr übrig, weder für Lucy noch für sich selbst. Dazu war er viel zu frustriert. Zu nahe am Abgrund. Nur noch eine zärtliche Berührung, und er würde hinabstürzen. Er wollte Lucy so sehr, dass er sie möglicherweise ohne Gewissensbisse mit sich in den Abgrund riss.
»Wir können uns morgen früh weiter unterhalten«, sagte er mit einer Stimme voller unterdrückter Leidenschaft. »Wenn wir wieder zur Vernunft gekommen sind.«
Erst jetzt wagte Lucy es wieder, zum Kleiderschrank hinüberzusehen. Zu der aufgeklappten Reisetasche aus Leder, die schon im ersten Moment ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte.
Mit einer Ruhe, die empfindlich war wie die glasige Oberfläche der See nach einem tosenden Sturm, zog sie an den Ärmeln des Unterkleids und zerrte den Rock hinunter, um ihre Nacktheit zu verbergen. »Du bist morgen früh doch gar nicht mehr da, oder? Smythe hat mir zu verstehen geben, dass du entlassen bist.«
»Entlassen?« Er wirkte kurzzeitig verwirrt, unergründlich im sterbenden Schein des Feuers, dann zuckte er gleichgültig die Achseln. »Entlassen zu werden ist bei Leibwächtern Berufsrisiko. Wenn man seine Arbeit ordentlich macht, dann wird man irgendwann nicht mehr gebraucht.«
Aber ich brauche dich.
Unausgesprochen hingen die Worte zwischen ihnen beiden, greifbar wie die Sehnsucht in Lucys Herzen.
Gerard ging zum Kleiderschrank, als wolle er ihrem fordernden Blick entgehen, nahm die dürftige Kollektion abgetragener Kleidungsstücke heraus und stopfte sie mit der gleichen Achtlosigkeit in die Reisetasche, mit der Lucy ihren Frisiertisch aufräumte.
Lucy strich ihren Rock glatt und stand auf. »Nimm mich mit.«
Gerard war gerade dabei, ein Halstuch zu einem unförmigen Knäuel zusammenzudrehen. Seine Hände gerieten ins Stocken. Lucy war bereit, alles für ihn aufzugeben – ihren guten Ruf, ihren Reichtum und sogar die unwahrscheinliche, aber dennoch unwiderstehliche Chance, eines Tages die Liebe ihres Vaters zu erringen. Die scharfe Schneide des Zynismus wütete in seinem Herzen und gab ihm die Kraft zu tun, was getan werden musste.
»Sie sollten jetzt gehen, Miss Snow«, sagte er, ohne sich umzudrehen. Er wusste nur zu gut, dass jedes seiner Worte ihren verletzlichen Stolz wie ein Hieb traf. »Wenn Ihre Anwesenheit hier im Pförtnerhaus mich das Empfehlungsschreiben kostete, träfe mich das sehr.«
Er hörte ihre Füße über den rauen Plankenboden tapsen und spürte einen kühlen Luftzug im Nacken. Er lief auf die schwingende Tür zu und konnte gerade noch sehen, wie Lucy wie ein Trugbild hinter einem wirbelnden Vorhang aus weißen Flocken verschwand.
Er schlug mit der Faust gegen den Türstock. Lucy hatte Recht gehabt. Er würde nicht mehr da sein, wenn der Morgen graute. Er würde in einer Stunde schon nicht mehr da sein. Egal, was seine Hast ihn kostete, er durfte nicht eine Minute länger als nötig in Sichtweite Ionas bleiben. Er wusste, was passieren würde, wenn er dennoch blieb. Er würde sich in jenes dekadente Gemach schleichen, das Lucy schlicht »Schlafzimmer« nannte, um ihr Schluchzen mit Küssen zu besänftigen, und ihren verletzten Stolz mit den harten, hungrigen Stößen seines Körpers.
Er drückte die Lippen auf die geballte Faust und atmete tief den Duft aus Limonen und Moschus, der noch wie ein Aphrodisiakum an seinen Fingern hing. Die schöne Tochter des Admirals würde niemals erfahren, wie knapp sie ihm entkommen war und welch verheerenden Preis ihn diese Gnade gekostet hatte. Er hatte sich für einen Mann gehalten, der nichts mehr zu verlieren hatte, als er nach Iona kam, und hatte am Ende ausgerechnet das eine Ding verloren, von dessen Existenz er nicht einmal etwas geahnt hatte.
Sein Herz.
17
Lucy stolperte über den Rasen und zeichnete mit jedem unbeholfenen Schritt die puderige Schneefläche. Das Herz donnerte ihr in den Ohren, als wolle es das Echo der barschen Abfuhr übertönen. Eisige Flocken stachen ihr ins Gesicht und schmolzen unter den warmen Tränen, die ihre Wangen hinunterliefen.
Sie wusste nicht, wohin sie lief, bis sie die vom Schnee bedeckte Silhouette der guten alten
Weitere Kostenlose Bücher