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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Eiche sah. Im Schutz der Äste sank sie auf die Knie und schlang sich die Arme um den Oberkörper, während die Kälte in ihre nackten Gliedmaßen biss.
    Die Nacht flüsterte den knarrenden, trockenen Ästen ihr trauriges Geheimnis zu. Lucy betrachtete die schneebedeckte Weite und wünschte sich die Verbitterung herbei, wünschte sich den Anblick hässlich zu finden. Was eine Lüge gewesen wäre. Die Hügel, die sich zum Fluss hinabsenkten, glitzerten wunderbar. Die Schneeflocken tanzten und wirbelten in den eisigen Böen. Lucy zitterte. Alles war so schön. So trügerisch. Wie die Liebe selbst.
    Sie vergrub das Gesicht in die Hände. Gerard hatte sie ebenso wenig gewollt, wie ihr Vater sie je gewollt hatte. Er mochte sie begehren wie all diese Männer Mutter begehrt hatten, doch lieben würde er sie nie.
    Welch schrecklicher Makel haftete ihr an, dass keiner sie lieben konnte?
    Und nach heute Nacht würde auch niemand mehr über sie wachen. Niemand würde bis weit nach Mitternacht im Pförtnerhaus Licht brennen haben. Niemand würde im Morgengrauen unter der alten Eiche stehen. Niemand würde ihr Rauchkringel ins Gesicht pusten oder sie so lange necken, bis sie vor Entrüstung lachend explodierte. Nach heute Nacht würde Gerards Heiterkeit nur noch Erinnerung sein, das quälende Echo eines kurzen Zwischenspiels in Lucys farblosem Leben.
    Lucy grub die Fingernägel in die Ellenbogen, beugte sich vor und wappnete sich gegen einen neuen Sturzbach aus Tränen. Doch ihr Schmerz hatte die Tränen hinter sich gelassen und stürzte sie in stumme Agonie. Ihr Gesicht war trocken und ausdruckslos, als sie es endlich wieder dem trüben Himmel entgegenhob.
    Hinter den dunklen Fensterscheiben der Bibliothek fiel ihr ein flackerndes Lichtlein auf. Es brannte bitter in ihrer Kehle. Ihr Vater hatte keine Zeit, seiner einzigen Tochter Gute Nacht zu sagen, aber Zeit genug, bis in die Morgenstunden zu arbeiten, das hatte er. Er überarbeitete mutmaßlich seine Memoiren und schönte seine Heldentaten, die Lucy selbst zuvor in sauberer Schrift zu Papier gebracht hatte.
    Sie erhob sich und richtete sich kerzengerade auf. Der Wind klebte ihr das dünne Kleid an die Beine und erinnerte sie an die Nacht auf dem Deck der Tiberius , als sie die Retribution aus dem Nebel hatte gleiten sehen. In einem hatte Gerard Recht. Von einem verwegenen Piraten zu träumen war besser, als für die wankelmütige Liebe zu einem Mann aus Fleisch und Blut ihr Herz zu riskieren.
    Sie lief mit entschlossenem, zielgerichtetem Schritt auf das Haus zu. Auch wenn Gerard auf eigenen Wunsch ging, sie musste sicher gehen, dass ihn nicht Vaters Gezänke vertrieben hatte oder ihre eigene erbärmliche Verliebtheit. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie die Sache ansprechen sollte, wenn sie erst einmal Vaters geheiligte Zuflucht gestürmt hatte, aber sie hatte genug davon, abgewiesen zu werden. Nie wieder wollte sie sich in eine Ecke verkriechen und ihre Wunden lecken, wenn man sie abwies.
    Sie schlüpfte durch einen Seiteneingang und marschierte zum Foyer weiter. Schatten verschleierten den verwinkelten Raum und schluckten das leise Tappen ihrer Füße übers polierte Parkett. Als sie sich der massiven Bibliothekstür näherte, schwand ihr Mut. Wie oft hatte das wunderbar geschnitzte Teakholz ihr schon den Weg in Vaters Leben versperrt? Es hätte nicht viel gebraucht, ein einsames Kind glücklich zu machen. Ein Zupfen an der Haarschleife, ein freundliches Lächeln, ab und zu ein angebrachter Tadel anstatt des eiskalten Getöses, das jede zärtliche Regung schon im Keim erstickte.
    Lucy erinnerte sich, wie oft sie sich auf Zehenspitzen nach dem Türknauf aus Messing gereckt hatte, und spürte förmlich, wie sie zusammenschrumpfte. Ihre Hand zitterte verräterisch, als sie die Tür aufdrückte.
    Außer dem gespenstischen Murmeln des Windes an die Fenster war kein Laut zu hören in der ungeheizten Bibliothek. Verwirrende Bilder stürmten auf sie ein. Dort am Sekretär ein bedrohlicher Schatten, ein rasches Einatmen, ein kurzes Flackern, das schnell wieder verlosch.
    Sie schlich weiter. »Vater?«, flüsterte sie und dann versuchsweise: »Smythe?«
    Sie fragte sich, ob vielleicht einer der Bediensteten etwas Sherry stibitzen wollte, als sich eine dunkle Gestalt aus den Schatten löste und mit der tödlichen Anmut eines hungrigen Raubtiers die Distanz überwand.
    Der Horror packte sie mit seinen Klauen. Doch sogar jetzt, wo sie im Geist wieder die tadelnde Stimme des

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