Verführt von einer Lady
Ansicht gewesen, sie könne von Glück reden, dass sie ihn nicht geheiratet hatte, bevor er den Titel verlor. Und sie kannte ihren Wert. Sie war die recht attraktive, intelligente (aber nicht – oh, vielen Dank, Mutter – zu intelligente), wohlversorgte Tochter eines Earls. Sie würde keine alte Jungfer werden.
Das alles wäre auch vollkommen akzeptabel gewesen, wenn sie nicht hingegangen wäre und sich in ihn verliebt hätte.
In ihn. Nicht in den Titel oder das Schloss. In ihn, Thomas Cavendish.
Aber das würde er nie in seinen Kopf bekommen.
Eilig lief sie über den Rasen, die Arme um den Körper geschlungen, um sich gegen die abendliche Kühle zu schützen. Sie hatte den langen Weg genommen, damit sie nicht am Salon vorbeigehen musste. Inzwischen war sie schon recht erfahren darin, in diesem Haus herumzuschleichen.
Daran musste irgendetwas Komisches sein.
Oder zumindest etwas Ironisches.
Vielleicht war es aber auch nur traurig.
In der Ferne sah sie den weiß gestrichenen Pavillon aufleuchten. Jeden Moment würde sie …
„Amelia.“
„Oh!“ Sie sprang zur Seite. „Lieber Himmel, Thomas, haben Sie mich erschreckt!“
Er lächelte schief. „Sie haben mich nicht erwartet?“
„Nicht hier .“ Der Pavillon lag noch ein ganzes Stück entfernt.
„Bitte um Verzeihung. Ich habe Sie gesehen, und es schien mir unhöflich, Sie nicht anzusprechen.“
„Nein, natürlich, ich bin nur …“ Sie atmete tief durch und klopfte sich mit der Hand an die Brust. „Mein Herz schlägt immer noch wie verrückt.“
Darauf trat Schweigen ein. Langes Schweigen.
Es war schrecklich. Es war genau wie damals, bevor sie ihn richtig kannte. Als er der Duke gewesen war und sie seine strahlende Verlobte. Und sie hatten sich nie etwas zu sagen gehabt.
„Hier.“ Er reichte ihr ein Blatt Papier, das mehrfach gefaltet und mit Wachs versiegelt war. Dann gab er ihr seinen Siegelring. „Ich wollte ihn auf das Wachs drücken“, sagte er, „aber dann wurde mir klar …“
Sie sah auf den Ring, auf dem das Wappen der Wyndhams prangte. „Eigentlich wäre das ziemlich komisch gewesen.“
„Schmerzhaft komisch.“
Sie berührte das Wachs. Es war ganz glatt. Sie sah auf und versuchte zu lächeln. „Vielleicht schenke ich Ihnen einen neuen. Zum Geburtstag.“
„Einen neuen Ring?“
Ach herrje, das war jetzt ganz falsch herausgekommen. „Nein, natürlich nicht.“ Verlegen räusperte sie sich und murmelte dann: „Das wäre ja vermessen.“
Er wartete ein Weilchen und legte den Kopf schief, um anzudeuten, dass er immer noch nicht wusste, worauf sie hinauswollte.
„Ein Petschaft. Um Wachs zu siegeln“, erklärte sie und hasste es, wie ihre Stimme klang. Nur sechs Worte, aber sie klangen schrecklich schwatzhaft. Albern und nervös. „Briefe müssen Sie ja immer noch schreiben.“
Er schien fasziniert. „Was würden Sie mir denn als Siegel aussuchen?“
„Ich weiß nicht.“ Sie sah auf den Ring hinunter und steckte ihn dann in ihre Tasche, damit sie ihn nicht verlor. „Haben Sie ein Motto?“
Er schüttelte den Kopf.
„Möchten Sie eines?“
„Wollen Sie mir eines geben?“
Sie lachte. „Oh, führen Sie mich nicht in Versuchung.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich meine damit, wenn ich genug Zeit habe, fällt mir bestimmt etwas weitaus Klügeres ein als Mors aerumnarum requies .“
Stirnrunzelnd versuchte er das zu übersetzen.
„Der Tod schenkt Ruhe vor aller Drangsal“, erklärte sie.
Er lachte.
„Das Motto der Willoughbys“, sagte sie und rollte mit den Augen. „Seit der Herrschaft der Plantagenets.“
„Tut mir furchtbar leid.“
„Andererseits werden wir in unserer Familie ziemlich alt.“
Grinsend fuhr sie fort, weil sie sich endlich amüsierte: „Und dazu auch noch krumm, rheumatisch und keuchend.“
„Vergessen Sie die Gicht nicht.“
„Wie nett von Ihnen, mich daran zu erinnern.“ Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu. „Wie heißt denn das Motto der Cavendishs?“
„Sola nobilitus virtas.“
Sola nobili… Sie gab auf. „Mein Latein ist ziemlich eingerostet.“
„Nur die Tugend adelt.“
„Oh.“ Sie verzog das Gesicht. „Was für eine Ironie.“
„Ja, nicht wahr?“
Danach wusste sie nicht, was sie noch sagen sollte. Und er anscheinend auch nicht. Sie lächelte verlegen. „Also. Na dann.“ Sie hielt den Brief hoch. „Ich werde gut darauf aufpassen.“
„Danke.“
„Dann auf Wiedersehen.“
„Wiedersehen.“
Sie wandte sich zum Gehen, hielt inne und
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