Verfuehrt zur Liebe
den Schuft nicht entlarven.« Er fing Stokes’ Blick auf. »Ich lebe schon zu lange, um vor der Realität zurückzuscheuen. Den Mörder nicht zu finden heißt nur, dass die Unschuldigen zusammen mit ihm verdammt werden. Wir müssen ihn entlarven, jetzt, bevor alles noch schlimmer wird.«
Stokes zögerte wieder, dann erklärte er: »Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Mylord, Sie scheinen ziemlich sicher, dass keiner Ihrer Enkelsöhne der Täter ist.«
Seine alten Hände über dem Knauf seines Gehstockes gefaltet, nickte Lord Netherfield. »Das bin ich. Ich kenne sie ihr Leben lang, und keiner von ihnen hat es in sich, so etwas zu tun. Aber man kann nicht erwarten, dass Sie das wissen, und ich werde nicht meinen Atem mit dem Versuch verschwenden, Sie davon zu überzeugen. Sie müssen alle vier unter die Lupe nehmen, aber glauben Sie mir, es wird einer der beiden anderen sein.«
Der Respekt, mit dem Stokes den Kopf neigte, war offenkundig aufrichtig. »Danke. Und nun« - sein Blick glitt über sie alle - »muss ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Ein paar Details müssen überprüft werden, obwohl ich gestehen muss, dass ich nicht damit rechne, irgendwelche hilfreichen Hinweise zu entdecken.«
Mit einer leichten Verbeugung verließ er sie.
Als sich die Tür hinter ihm schloss, bemerkte Simon, dass Lady O. ihm mit ihrem Blick etwas zu sagen versuchte. Sie nickte in Richtung Portia.
Nicht, dass es schwer war, seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Er sah sie an, griff nach ihrer Hand. »Komm, lass uns reiten gehen.«
Charlie kam ebenfalls mit. Sie trafen James und fragten ihn, ob er sie begleiten wolle, aber völlig untypisch für ihn lehnte er ab. Das Unbehagen, das er empfand, das Wissen, dass er zu den Verdächtigen zählte, war offenkundig; es war ihm unangenehm, und ihnen daher auch. Widerstrebend ließen sie ihn im Billardzimmer zurück.
Die anderen Damen saßen müßig im hinteren Salon. Lucy Buckstead und die Hammond-Mädchen griffen begeistert zu, als sie von dem geplanten Ausritt erfuhren; ihre Mütter ermutigten sie und wirkten erleichtert.
Bis sich alle umgezogen hatten, auf den Weg zu den Stallungen gemacht und Pferde ausgesucht hatten, war es später Nachmittag. Portia saß wieder auf der lebhaften, kastanienbraunen Stute und führte die Gruppe an. Simon folgte dicht hinter ihr.
Er beobachtete sie genau; sie schien irgendwie nicht wirklich anwesend zu sein, wenigstens in Gedanken. Wie auch immer, sie führte ihre Stute mit ihrer gewohnt mühelosen Sicherheit; es dauerte nicht lange, bis sie die anderen ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten. Nachdem sie die Reitwege unter dem grünen Blätterdach von Cranborne Chase erreicht hatten, ließen sie beide, ohne es abgesprochen zu haben, ihre Pferde in einen Galopp verfallen ... sie donnerten Seite an Seite über die Wege.
Plötzlich, so plötzlich, dass er erst an ihr vorüberritt, riss Portia ihre Stute zur Seite. Überrascht brachte auch er sein Pferd zum Stehen, wendete es und kehrte zu ihr zurück. Sie schwang sich aus dem Sattel, ließ die Stute mit bebenden Flanken und baumelnden Zügeln stehen. Dann lief sie eine kleine Anhöhe hinauf, die trockenen Blätter knirschten unter ihren Stiefeln. Oben angekommen blieb sie stehen, sie hielt sich sehr gerade und schaute auf die Bäume vor sich.
Verwundert lenkte er sein Pferd neben Portias Stute, band beide an einem Ast in der Nähe fest und ging Portia nach.
Er machte sich ernsthaft Sorgen. Ihr Pferd so herumzureißen und dann die Zügel einfach fallen zu lassen ... das passte so gar nicht zu ihr.
Er verlangsamte seine Schritte, als er näher kam. Blieb ein paar Schritte entfernt von ihr stehen. »Was ist los?«
Sie schaute ihn nicht an, schüttelte nur den Kopf. »Nichts. Es ist...« Sie brach ab, winkte mit einer Hand; ihre Stimme war tränenerstickt, die Geste hilflos.
Mit wenigen Schritten war er bei ihr, griff nach ihr und zog sie an sich, ignorierte ihren anfänglichen Widerstand, schloss sie in die Arme.
Hielt sie, während sie weinte.
»Es ist so schrecklich!« Sie schluchzte. »Sie sind beide tot. Weg! Und er - er war noch so jung. Jünger als wir.«
Er sagte nichts, berührte nur mit den Lippen ihr Haar, dann legte er seine Wange auf die schwarze Seide. Ließ alles, was er für sie empfand, in sich aufwallen und sie einhüllen.
Beruhigte sie.
Ihre Hand umklammerte seinen Rockaufschlag fester, dann lockerte sich ihr Griff allmählich.
Schließlich ließen auch ihre
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