Verfuehrt zur Liebe
Gärten spazierte, ging sie den Augenblick im Geiste immer wieder durch, durchlebte aufs Neue die Gefühle, nicht nur das von Simons Lippen auf ihren, sondern auch all das, was dadurch aufgeblüht war. Das Prickeln ihrer Nerven. Das Rauschen ihres Blutes, der stärker werdende Wunsch nach größerer Nähe. Kein Wunder, dass andere Damen danach süchtig werden konnten; sie hätte sich am liebsten selbst getreten, dass sie bislang so wenig Interesse daran bekundet hatte.
Vergangene Nacht hatte sie sich eindeutig nach mehr gesehnt - und das tat sie auch heute. Trotz ihrer Unerfahrenheit und trotz seiner Erfahrung konnte sie den Verdacht - das Gefühl - nicht ganz abschütteln, dass es Simon ebenso ergangen war. Wenn sich die Gelegenheit geboten hätte ... stattdessen hatten sie in den Ballsaal zurückkehren müssen.
Wieder zurück unter den Tänzern hatten sie den Zwischenfall mit keinem Wort erwähnt oder sonst etwas; sie war zu sehr in Gedanken mit dem eben Erlebten beschäftigt, und er hatte wohl keinen Grund für eine Bemerkung gesehen. Sie hatte sich schließlich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen, in ihr Bett; die Erinnerung an seine Lippen auf ihren hatte sie bis in ihre Träume hinein verfolgt.
Heute Morgen war sie aufgestanden, entschlossen, die Erfahrung zu genießen und weiterzumachen. Aber statt Simon am Frühstückstisch gegenüberzutreten, ehe sie die Chance hatte, sich über ihr weiteres Vorgehen klar zu werden, hatte sie sich entschlossen, mit Lady O. das Frühstück in deren Räumen zu sich zu nehmen.
Lady O.s unbekümmerte Bemerkungen über die Neigungen von Gentlemen und ihre Naturen, gewürzt mit knappen Anspielungen auf den körperlichen Aspekt bei Beziehungen zwischen den Geschlechtern, hatten sie nur in ihrem Beschluss bestärkt, sich über ihre Wünsche klar zu werden und dann zu entscheiden, wie sie weiter vorgehen sollte.
Weshalb sie nun allein durch die Gärten spazierte.
Die Wichtigkeit eines Kusses einzuschätzen. Wie viel Bedeutung verdiente ihre Reaktion darauf?
Simon hatte sich durch nichts anmerken lassen, ob sich für ihn sie zu küssen irgendwie davon unterschied, andere zu küssen. Sie rümpfte die Nase, als sie über einen der Rasenwege schlenderte; sie war zu realistisch, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass er ein Experte sein musste, dass es sicherlich zahllose Frauen gab, die er geküsst hatte. Dennoch ... sie war sich ziemlich sicher, dass er sie wieder küssen würde, wenn sich die Gelegenheit bot.
Dagegen hatte sie keine Einwände. Der Weg zum Tempel lag vor ihr; ohne eine bewusste Entscheidung zu treffen, schlug sie ihn ein.
Der Pfad, den sie mit ihrem Plan weiter einschlagen sollte, war wesentlich verworrener. Je mehr sie darüber nachdachte, desto ratloser wurde sie. Als wäre sie zu einer Reise über einen endlosen Ozean aufgebrochen und hätte dann entdeckt, dass sie keine Ahnung hatte, welchen Kurs sie einschlagen musste, dass sie keine Karte besaß, die ihr weiterhalf.
Würde es sich beim nächsten Mal, wenn er sie küsste, genauso anfühlen? Oder war die Reaktion von voriger Nacht eine Ausnahme gewesen, weil es ihr erstes Mal gewesen war? Hätte sie dasselbe empfunden, wenn sie ein anderer geküsst hätte? Wenn Simon sie wieder küssen würde, würde sie da überhaupt etwas fühlen?
Und um auf den springenden Punkt zu kommen, war es überhaupt von Bedeutung, was sie fühlte, wenn ein bestimmter Gentleman sie küsste?
Die Antworten lagen unter einem Nebel der Unerfahrenheit verborgen. Sie nahm die Schultern zurück, hob den Kopf - sie würde einfach experimentieren müssen und es herausfinden.
Nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, fühlte sie sich viel besser. Der Tempel tauchte vor ihr auf, ein kleiner Marmorbau mit ionischen Säulen. Er war umgeben von üppigen Blumenbeeten; als sie die Stufen emporstieg, bemerkte sie einen Gärtner, einen jungen Mann mit einem dicken, schwarzen Haarschopf, der gerade in einem Beet Unkraut jätete. Er schaute zu ihr auf; sie lächelte und nickte. Er blinzelte, wirkte eher unsicher, erwiderte den Gruß höflich.
Portia betrat den Marmorboden des Tempels und erkannte sogleich, warum der Gärtner unsicher gewirkt hatte. Der Tempel war voller Worte - eine heftige Auseinandersetzung. Wenn sie besser aufgepasst hätte, wäre ihr das schon aufgefallen, ehe sie die Stufen hochgestiegen war. Der Gärtner musste jedes Wort verstehen. In der Stille des Gartens konnte er es kaum verhindern.
»Dein Verhalten ist nicht zu
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