Verfuehrt zur Liebe
geschenkt, daher werde ich mich dir im Gegenzug anvertrauen. Du hast, nehme ich an, keine jüngere überaus liebreizende Schwester? Um es genauer auszudrücken, keine raffgierige jüngere Schwester?«
Portia blinzelte; ein Bild von Penelope mit ihrer Brille und der ernsten Miene erschien vor ihrem geistigen Auge. Sie schüttelte den Kopf. »Aber ... warum? Kitty ist schon ein paar Jahre lang verheiratet, oder?«
»Oh, ja. Aber unheilvollerweise hat ihre Ehe keine mäßigende Wirkung auf ihren Wunsch, sich alles zu nehmen, was ich bekommen könnte.«
»Sie« - Portia suchte nach dem richtigen Wort - »hat dir deine Verehrer abspenstig gemacht?«
»Immer schon. Schon aus dem Schulzimmer heraus.«
Trotz dieser Enthüllung blieb Winifreds Miene ruhig, gelassen - resigniert, stellte Portia fest.
»Ich bin mir nicht sicher«, fuhr Winifred fort und schaute Portia in die Augen, »ob ich nicht in Wahrheit dankbar sein sollte. Ich würde keinen Mann heiraten wollen, der sich so leicht vom rechten Weg abbringen lässt.«
Portia nickte. »Allerdings nicht.« Sie zögerte, dann sagte sie: »Ich habe schon Mr. Winfield erwähnt - er scheint in seiner Wertschätzung beständig zu bleiben, trotz Kittys Bemühungen.«
Der Blick, den Winifred ihr zuwarf, war unsicher; zum ersten Mal sah Portia flüchtig die Frau hinter der Maske der Gelassenheit, die von ihrer Schwester immer wieder enttäuscht worden war. »Glaubst du?« Dann lächelte Winifred, wieder leicht selbstironisch; ihre Maske war wieder da. »Ich sollte dir vermutlich erzählen, wie es angefangen hat. Desmond hat unsere Familie vor ein paar Jahren in London kennen gelernt. Zuerst war er sehr von Kitty eingenommen, wie es die meisten Gentlemen sind. Dann fand er heraus, dass sie verheiratet war, und übertrug seine Aufmerksamkeiten auf mich.«
»Oh.« Sie hatten das Ende des Weges erreicht. Nachdem sie einen Moment dagestanden und zum Wasser geschaut hatten, drehten sie sich wieder um und gingen zum Haus zurück. »Aber«, wandte Portia ein, »heißt das denn nicht, dass Desmond dir schon ein paar Jahre lang den Hof macht?«
Winifred nickte langsam. »Ungefähr zwei.« Nach einer kleinen Weile fügte sie fast zaghaft hinzu: »Er hat mir gesagt, er habe sich von Kitty zurückgezogen, sobald er erkannt hatte, wie sie wirklich ist. Erst später hat er erfahren, dass sie verheiratet ist.«
In Portias Kopf war die Erinnerung an das noch ganz frisch, was sie am vorigen Abend unterhalb der Terrasse mitbekommen hatte. »Er scheint... mit Kitty sehr streng zu sein. Ich habe kein Anzeichen beobachten können, dass er die Gelegenheit begrüßen würde, die Bekanntschaft zu vertiefen - ganz im Gegenteil.«
Winifred schaute sie an, musterte ihr Gesicht, ihre Augen. »Meinst du?«
Portia erwiderte ihren Blick offen. »Ja.«
Die Hoffnung, die sie in Winifreds Augen aufblitzen sah, ehe sie wegschaute, bewirkte, dass sie sich sehr gut fühlte. Wahrscheinlich war es das, was Lady O. verspürte, wenn sich durch ihre Einmischung etwas zum Guten wandte; zum ersten Mal in ihrem Leben konnte Portia erkennen, worin der Reiz davon bestand.
Sie spazierten weiter. Sie blickte hoch; der Anblick der beiden Männer, die sich ihnen näherten, rief ihr augenblicklich ihr eigenes Dilemma zurück ins Gedächtnis.
Simon und James kamen näher. Mit ihrem gewohnten Charme begrüßten sie sie beide. Verstohlen musterte Portia Simon, konnte aber keine Veränderung in seinem Benehmen erkennen, nichts Besonderes in seiner Haltung ihr gegenüber -keinen Hinweis darauf, was er über ihren Kuss dachte.
»Wir sind geschickt worden, euch zu holen«, erklärte James. »Es gibt ein Picknick. Es ist entschieden worden, dass der Lunch in den Ruinen der alten Priorei wesentlich besser schmecken würde.«
»Wo befindet sich diese Priorei?«, fragte Winifred.
»Nördlich des Dorfes, nicht weit von hier. Es ist dort ganz reizvoll.« James deutete in die Richtung. »Es ist die perfekte Stelle, um zu essen, zu trinken und sich am Busen der Natur zu entspannen.«
5
James’ Worte erwiesen sich als prophetisch; die Priorei war genauso schön, wie er behauptet hatte. Sie lag auf einer kleinen Anhöhe, die Ruine erstreckte sich über ein ausgedehntes Gebiet. Obwohl man nicht so weit in die Landschaft sehen konnte wie von der Aussichtsstelle, war es doch sehr nett.
Der alte, teilweise mit wilden Blumen übersäte Rasen, auf dem das Picknick selbst stattfand, bot einen schönen Blick über das Tal und die Felder,
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