Verfuehrt zur Liebe
Charaktereigenschaften, mit denen sie bestens vertraut war, vieles gegen ihn. Kurz, es würde nicht einfach werden, sie dazu zu bringen, das Risiko einzugehen, sich ihm zu schenken. Er brauchte jeden Vorteil, den er erlangen konnte.
Er schritt durch die laue Nacht. Sie hielt sich mühelos an seiner Seite, ihre Schritte ausholend und federnd.
Einen Trost gab es - sie war nie schwatzhaft gewesen. Sie sagte etwas, wenn sie wollte. Bei ihm schien sie nie den Drang zu verspüren, wie es bei so vielen anderen Frauen wohl der Fall war, das Schweigen zwischen ihnen zu füllen. Es lag zwischen ihnen, nicht unbehaglich, sondern angenehm, wie gut passende Schuhe.
Vertrautheit und ihr Verstand; zwei Punkte, die er zu seinem Vorteil nutzen konnte, wenn er es geschickt anstellte. Sie war immer schon weit mehr geneigt, logisch zu denken, als jedes andere weibliche Wesen seiner Bekanntschaft. Daher hatte er eine gewisse Chance, ihre Gedanken zu erraten, die Richtung vorauszusagen, die sie einschlagen würden, und sie durch verständiges Zureden dorthin zu steuern, wo er sie haben wollte.
Solange sie nicht sein letztendliches Ziel erriet.
Wenn doch ...
Welches hinterhältige Schicksal hatte eigentlich beschlossen, dass er ausgerechnet die Frau zur Ehefrau begehren musste, von der er ohne den geringsten Zweifel wusste, dass er sie nie leicht beeinflussen könnte?
Er unterdrückte ein Seufzen und blickte auf. Gerade, als Portia sich versteifte.
Er schaute nach vorne, seine Hand schloss sich fester um ihre; er sah den jungen Gärtner, der wieder dastand, den Blick auf den privaten Flügel des Hauses gerichtet.
Portia zog an seinem Arm; er nickte, und sie gingen weiter, schlüpften durch die Schatten ins Haus.
Es lag im Dunkeln; niemand sonst war auf. Sie kamen wieder an der brennenden Kerze am Fuß der Treppe vorbei, und er bemerkte, dass sie die Stirn runzelte.
»Was ist?«
Sie blinzelte, dann sagte sie: »Dennis - der Gärtnerbursche -war auch schon dort, als ich nach draußen ging.«
Er verzog das Gesicht und winkte sie die Treppe empor. Als sie in die Galerie traten, erklärte er leise: »Das grenzt ja an Besessenheit. Ich werde James darauf ansprechen.«
Portia nickte. Es lag ihr auf der Zunge zu erwähnen, dass sie auch Ambrose gesehen hatte, aber er war nicht mehr da gewesen, als sie zurückkamen. Kein Grund für Simon, ihn auch anzusprechen.
Sie hatten ihr Zimmer erreicht; sie zog an Simons Hand, und er blieb stehen. Sie deutete mit dem Kopf auf ihre Zimmertür.
Simon schaute sie an, dann hob er ihre Hand an die Lippen. »Schlaf gut.«
Sie stellte sich dicht vor ihn, reckte sich und küsste ihn leicht. »Du auch.«
Nachdem sie ihre Hand aus seiner gezogen hatte, öffnete sie die Tür und ging hindurch, dann schloss sie sie leise hinter sich.
Eine volle Minute verstrich, ehe sie hörte, wie seine Schritte sich entfernten.
Zu begreifen, wie real, wie körperlich Simons Verlangen nach ihr war, war eindeutig erschreckend gewesen. Erschreckender und erhellender als alles, was sie bis dahin hinzugelernt hatte.
Und es war auch eine Versuchung, eine größere Versuchung als alles andere zusammen, weiterzugehen und zu erfahren, was jenseits der Grenze lag, was das Gefühl war, das sie zu mehr Nähe, mehr Intimität drängte. Das Gefühl, das mit jedem Blick, mit jedem gemeinsamen Augenblick stärker zu werden schien und klarer.
Wirklicher.
Das war auch erschreckend.
Portia blieb auf der Terrasse stehen und schaute sich um. Nach dem Frühstück mit Lady O. in deren Räumen war sie gegangen, damit die alte Dame sich in Ruhe ankleiden und sie selbst eine Weile allein sein konnte - zum Spazierengehen und Nachdenken.
Nach dem, was in der vergangenen Nacht im Sommerhaus geschehen war, stand Nachdenken ganz oben auf der Liste der Sachen, die sie tun musste.
Tauspuren glitzerten noch auf dem Gras, aber nicht mehr lange. Die Sonne schien schon warm vom Himmel - es würde wieder ein heißer Tag werden. Der größte Teil der Hausgäste würde in Kürze zu einer Ausfahrt nach Cranborne Chase aufbrechen, wo man in einem Gasthof den Lunch einnehmen wollte, ehe man wieder zurückkehrte. Alle hofften, ein Tag außerhalb von Glossup Hall würde die angespannte Atmosphäre und die Erinnerungen an den vorigen Tag vertreiben.
Den Sträuchergarten hatte sie sich noch nicht angesehen, daher begab sie sich dorthin, trat durch den Bogen, der in die erste Hecke geschnitten war. Wie alles in den Gärten des Landsitzes war auch dieser
Weitere Kostenlose Bücher