Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Sie war den ganzen Tag vom Rest der Welt ferngehalten worden, während unten in lauten, weithin hörbaren Tönen über ihr Schicksal entschieden wurde.
»Hat er Sie heraufgeschickt, um mich über meine Fehler zu belehren?«, knurrte sie. »Muss ich mir nun Lebensweisheiten predigen lassen von jemandem, der Erfahrung hat in diesen Dingen?«
Ein Schatten fiel über das Gesicht der anderen Frau, und Sabrina bereute ihre schroffen Worte sogleich. Aidans Frau trug schließlich nicht die Schuld daran, dass Sabrinas Welt vollkommen aus den Fugen geraten war. Ihre Kehle wurde eng von Tränen, und sie erhob sich schnell, um sich zu entschuldigen. »Es tut mir schrecklich leid. Das war nicht nett von mir, und es war auch nicht ernst gemeint. Wirklich nicht. Kommen Sie bitte herein, Mylady!« Sie lächelte mit feuchten Augen und winkte ihre Schwägerin herein.
»Ich heiße Cat. ›Mylady‹ klingt so schrecklich steif. Als wären wir Fremde.«
»Sind wir das denn nicht?«
»Im Moment noch. Doch ich hoffe, dass wir eines Tages die besten Freundinnen sein werden. Vielleicht sollten wir schon einmal damit beginnen, das steife Sie fallen zu lassen, falls du nichts dagegen hast.« Trotz Sabrinas schlechter Manieren lächelte sie sie freundlich an. »Es wird dich freuen zu hören, dass wir Tante Delia überzeugen konnten, du hättest bei einem langen Spaziergang mit deiner Zofe und zwei stämmigen Dienern die Zeit aus den Augen verloren.« Sie warf einen Blick auf Sabrinas zerfleddertes Tagebuch. »Bist du sicher, dass du es verbrennen willst?«
Sabrina befingerte die Überreste, schleuderte das Buch dann jedoch ins Feuer und beobachtete, wie die Flammen es schwärzten und es allmählich verkohlte. Ließen sich die Ereignisse doch auch nur so leicht auslöschen!
»Es war ein Fehler, Tagebuch zu führen«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Es hat mich der schlimmsten Art von Schnüffeleien ausgesetzt.« Sie wischte sich die Hände ab und ignorierte den Schmerz über den Verlust von etwas, was bis zum heutigen Morgen ihr privatester Zufluchtsort gewesen war. Nicht einmal Jane wusste alles, was ihr Herz bewegte.
Ganz bewusst wählte Sabrina einen Sessel, der mit dem Rücken zum Kamin stand, ließ sich darauf nieder und strich ihre Röcke glatt. Sie veränderte die Stellung ihrer Beine und überlegte, ob sie einen Schal umlegen sollte oder nicht. Dann verrückte sie das Kissen und die Kerze auf dem Tischchen neben sich und hätte sonst noch was getan, um das Tagebuch und die Tortur, ausgerechnet mit der Frau ihres Bruders darüber sprechen zu müssen, zu vergessen.
»Darf ich mich setzen?« Cat deutete auf den Sessel gegenüber.
Sabrina zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. Es kostete Kraft zu kämpfen. »Wenn ich zwischen einem Donnerwetter von dir und Aidan wählen müsste, würde ich mich für das von dir entscheiden.«
»Ich werde das als Kompliment betrachten.« Cat verzog das Gesicht. »Er kann einen manchmal wirklich auf die Palme bringen, nicht?«, sagte sie lachend, und für einen kurzen Moment erhielt Sabrina einen Eindruck, wie es sein könnte, eine Schwester zu haben. Noch jemand anderen neben Jane, die zwar ihre beste Freundin war, jedoch nicht zu ihrer Familie gehörte und daher die schrecklichen Auswirkungen jenes lang zurückliegenden Novembertages, die sich immer noch bemerkbar machten, nicht verstehen konnte.
Sabrina betrachtete die neue Lady Kilronan unter halb gesenkten Lidern. Sie hatte nichts von der arroganten, dunkeläugigen Frostigkeit Helena Roseingraves. Und auch nichts von der affektierten Boshaftigkeit Tante Delias. Cat war von einer schlichten Eleganz, einer Umgänglichkeit und Freundlichkeit, die Sabrina vor Scham über ihre hässlichen früheren Ansichten erröten ließen. Sie hätte wissen müssen, dass Aidan keine Frau heiraten würde, die nur auf einen Adelstitel aus war. Er war viel zu klug – und zynisch –, um sich zu so etwas hinreißen zu lassen.
Während sie selbst naiv und leicht zu täuschen war.
»Verzeih mir, dass ich mich so schlecht benommen habe … Cat.« Der Name gefiel Sabrina. »Ich war eine richtige Giftspritze. Und das hast du nicht verdient, denn nichts von alldem ist deine Schuld. Es war Aidan, der mir nachspioniert hat.«
Beim bloßen Gedanken daran, wie er ihre Privatsphäre verletzt und ihre geheimsten Gedanken gelesen hatte, kochte wieder Wut in Sabrina hoch.
»Er machte sich Sorgen um dich«, wandte Cat ruhig ein. »Er wusste nicht, wohin du
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