Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
anderer, die ihm den Schädel dröhnen ließen.
Der Mann in Schwarz kannte die Antworten auf diese Fragen. Daigh musste ihn nur aufspüren und zwingen, damit herauszurücken – mit vorgehaltenem Messer, wenn es nicht anders ging.
Aus dem gestrigen Regen war ein nieseliger Dunst geworden, der Daighs Kleider durchfeuchtete und den Ritt sehr ungemütlich machte. Die Straße war schlammig und tückisch. Zweimal war sein Pferd schon ins Rutschen gekommen, und einmal hatte er einen Umweg um eine überspülte Stelle in Kauf nehmen müssen, wo die Straße völlig unter einem See aus Schlamm und Stein verschwunden war.
Als das Gelände besser wurde, trieb er den Braunen in einem leichten Galopp die Anhöhe hinauf und ließ suchend den Blick über die Straße darunter gleiten, die in ein flaches Tal hinunterführte. Ein paar Kutschen waren zu sehen, ein von zwei Pferden gezogener Wagen und ein Bauer in einem dicken Mantel, der am Straßenrand entlangmarschierte. Der Rest verlor sich im nachmittäglich grauen Dämmerlicht.
Daigh drehte sich im Sattel und blickte sich nach dem Weg um, den er gekommen war und der nach Glenlorgan und zu Sabrina führte.
Ich komme zurück. Die Worte – sein Versprechen an sie – stiegen aus irgendeinem verlorenen Ort in ihm auf. Einem Ort, an dem er sie voller Zärtlichkeit und Liebe lachen sah und an dem sie beide ein Leben teilten. Aber sie gehörte nicht zu ihm. Es war nur eine Illusion. Ein schöner Traum. Ein Wunsch, der einem Leben entrissen worden war, das vor Jahrhunderten aufgehört hatte zu existieren.
Seine Hände umklammerten die feuchten Zügel.
Es gab nichts Solides mehr in seinem Dasein außer der Qual der Trennung von Sabrina. Und die barg einen Schmerz in sich, der so real und frisch wie gestern war.
Nach vielen Stunden, in denen sie über ihr Tagebuch gebeugt gesessen hatte, hob Sabrina den Kopf, blinzelte in das rasch schwindende Tageslicht und ließ die Schultern rollen, um die Verspannungen darin zu lösen. Dann las sie noch einmal die vielen mit Eindrücken, Erinnerungen und Gesprächen gefüllten Seiten und hoffte wider besseres Wissen, dass ihre Zeit mit Daigh mehr Sinn ergeben würde, als es beim Niederschreiben der Fall gewesen war.
Aber weit gefehlt.
Tatsächlich war es sogar so, dass ihre in fieberhafter Eile angefertigten Notizen sich viel mehr wie das Gefasel einer besonders erfinderischen Wahnsinnigen lasen.
Erinnerungen an eine Vergangenheit, die nichts mit ihr zu tun hatte. Daighs Gesicht, das ihr durch den Kopf ging, als wäre es schon immer da gewesen. Und Kenntnisse von Dingen, die sie eigentlich gar nicht haben dürfte.
Oje! Falls diese Aufzeichnungen den bandraoi jemals in die Hände fielen, würden sie sie ans Bett ketten und alle scharfen Gegenstände vor ihr verstecken.
Sabrina schob das Buch unter ihr Kopfkissen, überlegte es sich aber schnell wieder anders und versteckte es unter der Matratze.
Und keinen Augenblick zu früh.
Mit schlappen Schritten und ungewöhnlich blass kam Jane herein. Sie hatte dunkle Schatten unter den Augen, und ihre Schultern waren gebeugt, als versuchte sie, sich vor irgendeinem unsichtbaren Angreifer zu schützen.
»Geht es dir nicht gut, Jane?«
Die Freundin zuckte erschrocken zusammen, bevor ihr Blick voller Erleichterung zu Sabrina glitt. »Schleich dich bloß nicht noch mal so an mich heran! Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«
»Ich habe mich nicht herangeschlichen, sondern war schon hier.«
»Tatsächlich?«, entgegnete Jane mit einem schwachen Lächeln und winkte müde ab. »Dann muss ich dich wohl übersehen haben.«
Seufzend ließ sie sich auf den Stuhl vor der Frisierkommode fallen und zog das weiße Tuch vom Kopf. Sogar ihr schönes rotes Haar sah heute stumpf und leblos aus. Als sie mit zitternden Fingern die Kämme herausnahm, verfing sich einer von ihnen in ihrem Haar. Mit einem gemurmelten »Verdammt!« riss sie ihn los und brach in solch heftiges Schluchzen aus, dass ihre schmalen Schultern zuckten.
Sabrina sprang auf. »Was um Himmels willen …? Lass mich dir helfen, bevor du dich skalpierst«, sagte sie zu Jane, die daraufhin nur noch wie eine lebensgroße Puppe dasaß und sich widerspruchslos von Sabrina Kämme und Nadeln aus dem Haar entfernen ließ. Sie starrte auch noch schweigend vor sich hin, als Sabrina ihre Locken mit ruhigen, gleichmäßigen Strichen zu bürsten begann, bis Janes Nacken und ihre Schultern sich entspannten und sie die Augen schloss und seufzte.
War diese
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