Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
nach Gründen, ihre Ernennung zur Priesterin zu verschieben. Wenn sie jetzt auch noch ihre törichte Faszination für einen Mann preisgab, den sie nur wenige Tage gekannt hatte, den Wirrwarr der Erinnerungen und Emotionen, die sie überschwemmt hatten, oder jemandem erzählte, dass Daighs Verschwinden sie mit einem uralten, wieder in ihr aufgelebten Schmerz erfüllte, würde man sie für verrückt erklären. Und das zu Recht. Alles, was sie wollte, würde in Gefahr geraten. Das Beste war, den Mund zu halten. Immerhin war Daigh gegangen. Ohne auch nur ein Wort des Abschieds hatte er sich mitten in der Nacht davongestohlen. Und ihr Leben würde wieder so werden, wie es vor seinem Erscheinen gewesen war.
Und das war gut.
Genau das, was sie wollte.
Oder etwa nicht?
»Was ist womit?« Schwester Ainnirs kluge Augen waren wie ein Vergrößerungsglas auf Sabrinas Stirn gerichtet.
Hatte sie etwa laut gedacht? Sabrina versuchte, den Gesprächsfaden wiederzufinden. »Mit dem Zimmer«, sagte sie schnell. »Muss es nicht gereinigt werden?« Als hätte sie den beißenden Laugegeruch nicht schon gerochen und nicht selbst gesehen, wie leer und steril der kleine Raum schon wieder war.
Schwester Ainnir seufzte. »Das wurde bereits erledigt. Sie können sich freinehmen bis heute Nachmittag.«
Die betagte Schwester ließ es wie eine Belohnung klingen, obwohl es im Grunde nur bedeutete, dass Sabrina nun Stunden haben würde, um über die jüngsten Ereignisse nachzugrübeln, sie noch einmal Revue passieren zu lassen und jeden Blick und jedes Gespräch zwischen ihr und Daigh nach Hinweisen auf seine Falschheit zu beleuchten. Und um sich am Ende über ihre unglaubliche Leichtgläubigkeit zu ärgern.
Vielleicht wäre es gut, alles in ihrem Tagebuch festzuhalten. Es schwarz auf weiß zu sehen, würde ihr möglicherweise helfen, Daigh und ihrer naiven Schwärmerei für ihn den richtigen Stellenwert zu geben und die ganze Sache als das zu sehen, was sie wirklich war. Eine vorübergehende Ablenkung, als sie gerade dringend eine gebraucht hatte – und nicht die lebensverändernde Leidenschaft, die ihre übersteigerte Fantasie daraus gemacht hatte.
Plötzlich war Sabrina froh, allem entkommen zu können und ein paar Stunden für sich allein zu haben.
Durch den Gang eilte sie wieder zur Tür zurück und ignorierte Schwester Cleas Rufe. »Wo ist Paul? Wo ist mein Bruder? Er hat gesagt, er kommt zurück. Er hat es versprochen.«
Und was war ein Versprechen wert?
Absolut nichts, wie Sabrina zu ihrem Leidwesen immer wieder herausgefunden hatte.
Die Jagd war leicht. Zu leicht für Daigh, um das Offensichtliche zu ignorieren: Es war nicht das erste Mal, dass er hinter einer Beute her war. Er hatte schon viele Male gejagt – und die Sache mit tödlicher Geschicklichkeit beendet.
Er folgte dem Mann in Schwarz zum Dorf und von dort nach Clonekilty und Bandon, wo der verängstigte Wirt des King’s Arms ihm versicherte, dass ein Mann, auf den die Beschreibung des Diebes passte, dort haltgemacht hatte, um sein Pferd zu tränken und eine Kleinigkeit zu essen, bevor er auf der Straße nach Cork weitergeritten war. Was ihn in die Stadt führte, habe er nicht erwähnt, meinte der Wirt, seines fremdartigen Aussehens und ungeduldigen Gebarens wegen würde er jedoch jede Wette eingehen, dass der Mann zum Hafen wollte.
Auf diese Wette hätte Daigh sich eingelassen. Wie ein Hund einer Blutspur folgte er der Fährte.
Oder wie ein Domnuathi seinem nächsten Opfer.
Die Wahrheit befeuerte sein Gemüt mit fackelartiger Intensität und verbrannte jede Hoffnung. Seit er bei den bandraoi erwacht war, hatte er sich etwas vorgemacht und sich von der Ruhe der Tage, die nach Arbeit und Gebet bemessen wurden, zu dem Glauben verleiten lassen, er sei normal. Einfach nur ein Mann, der eine Tragödie erlebt hatte, die Zeit und Geduld beheben würden.
Doch nichts war einfach oder normal an ihm. Und er brauchte weder Zeit noch Geduld, um zu gesunden. Es war der Tod, der ihm verweigert wurde. Oder sollte er sagen, ein erneutes Sterben? Denn einmal war er schon ins Grab geschickt worden.
Aber obwohl ihm inzwischen klar war, was er war, wusste er immer noch nicht, wer er war. Welch dunkle Macht ihn aus dem Grab hatte wiederauferstehen lassen. Wie er halb ertrunken an dem kleinen Strand einer Felsenküste gelandet war. Was für eine fremde Präsenz sein Gehirn vergiftete wie eine schwere Krankheit. Diese Fragen blieben, zusammen mit den gelegentlichen Ausbrüchen vieler
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