Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
stellte sie sich eine endlose Reihe langer, leerer Tage vor, die sich vor ihr erstreckten. Ein Leben zwischen Sonnenauf- und -untergängen, wo ein Tag wie der andere war. Sicher, ruhig und abgeklärt.
Ohne Sinn.
Schwester Ainnir beugte sich über Schwester Moira und horchte ihre Brust ab.
»Wie konntet ihr ihn so einfach gehen lassen?«, fragte Sabrina schärfer als beabsichtigt.
Die alte Priesterin sah sie unter zusammengezogenen Brauen an. Dann straffte sie sich, scheuchte Sabrina an den Reihen von Betten entlang zu ihrem winzigen Büro und zog fest die Tür hinter sich zu.
»Wir haben ihn nicht gehen lassen. Er hat sich mitten in der Nacht aus dem Staub gemacht«, sagte sie, sobald sie allein waren. »Nachdem er Ard-siúrs Arbeitszimmer geplündert und geheiligte Wertsachen hatte mitgehen lassen. Sogar ein Pferd hat er gestohlen.«
Ard-siúrs Arbeitszimmer geplündert? Sabrina stieß entsetzt den Atem aus. In der Nacht, als sie Daigh dort begegnet war – hatte er sie da belogen? Hatte er den Diebstahl die ganze Zeit schon geplant? »Das glaube ich nicht.«
»Sie brauchen es auch nicht zu glauben. Es gibt unstrittige Beweise. Dieser Mann war ein gewöhnlicher Dieb, der uns alle zum Narren gehalten hat. Wahrscheinlich hat er von Anfang an nur darauf gewartet, genügend Freiheit zu erlangen, um sich unbeobachtet im Haus bewegen zu können. Sowie unsere Wachsamkeit nachließ, hat er seinen Komplizen Tür und Tor geöffnet.«
»Dann kann er nicht Herr seiner Sinne gewesen sein. Oder er wurde dazu gezwungen. Vielleicht haben diese anderen Männer ihn irgendwie bedroht.«
Schwester Ainnir schnaubte verächtlich. »Und Schweine können fliegen. Niemand kann diesen Mann zu etwas zwingen, was er nicht will.«
»Ich hörte, dass Blut in Ard-siúrs Büro gefunden wurde. Und zwar jede Menge. Wie erklären Sie sich das?«
Schwester Ainnir schürzte die Lippen. Offensichtlich war sie völlig ungerührt von Sabrinas leidenschaftlicher Verteidigung. »Ein Streit unter Verbrechern. Und MacLirs unerklärliche Fähigkeit, sich von Verwundungen zu erholen, die für einen normalen Menschen – selbst den mächtigsten Anderen – tödlich wären, haben wir ja schon gesehen. Das allein hätte uns mehr zu denken geben müssen.«
»Wir können ihn nicht so schrecklich falsch beurteilt haben. Ard-siúr hätte seine Absichten erkannt und ihn als das gesehen, was er ist.«
Und sie hätte es erst recht sehen müssen.
Sein liebevoller Umgang mit Schwester Clea. Der heimliche Kuss in der Nacht … Das konnte doch nicht nur ein arglistiges Komplott eines Schwindlers gewesen sein. Die List eines Betrügers. Was war mit seinem Kummer? Seinem Schmerz? Beides hatte sie gespürt. Wenn sie allerdings ganz ehrlich war, hatte sie auch eine tiefer liegende, beängstigend intensive Wut in ihm wahrgenommen.
Hatten diese flüchtigen Eindrücke auf etwas Finsteres hingewiesen? Auf unlautere Absichten, die er sogar vor den hellseherischen Fähigkeiten der bandraoi verborgen hatte? Hatten ihre eigenen kindischen Fantasien sie blind gemacht für alle Warnsignale?
»Sie können dagegenhalten, was Sie wollen, Sabrina. Selbst wenn es so ist, wie Sie sagen, und MacLir unschuldig ist, war sein Weggang überfällig. Als Schwestern des Hohen Danu bewegen wir uns auf dünnem Eis. Kein Hinweis auf die wahre Natur unseres Ordens darf aus diesen Klostermauern an die Öffentlichkeit dringen. Kein Verdacht darf das sorgfältige Konstrukt beflecken, das wir aus unserem Leben gemacht haben. Mr. MacLir hat das bedroht. Das wissen Sie so gut wie ich. Er war eine Gefahr, und er brachte Gefahren mit sich. Es ist gut, dass er gegangen ist. Jetzt können wir vielleicht zur Normalität zurückkehren.« Der vielsagende Blick, mit dem sie Sabrina ansah, schloss deren Rückkehr zum normalen Leben ein.
Es war offensichtlich, dass das Gespräch damit für Ainnir beendet war. Schon bevor sie aufhörte zu reden, begann sie, die Sachen wegzuräumen, die sie für ihre Arbeit gebraucht hatte. Sie stellte Flaschen in Regale zurück, überprüfte Vorräte und hakte sie auf ihrer Liste der Bestände ab.
»Aber was ist …« Sabrina schluckte den Rest der Worte hinunter.
Mit mir? , hätte ihr neu entdecktes, aufsässiges Ich beinahe gefragt, doch Schwester Ainnirs Gesichtsausdruck ließ sie verstummen.
Die alte Frau beobachtete sie sowieso schon mit zunehmender Sorge. Auch Jane warf ihr besorgte Blicke zu, wenn sie glaubte, Sabrina bemerke es nicht, und Schwester Brigh suchte
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