Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
damit war sie auch schon wieder weg.
Keine Tirade über Sabrinas und Janes Herumfaulenzen und mangelndes Pflichtbewusstsein? Kein Verhör, wieso, weshalb und wozu sie sich in ihrem Zimmer aufhielten, während anständige, schwer arbeitende Priesterinnen mit den Angelegenheiten des Ordens beschäftigt waren? Nicht einmal ein missbilligendes Naserümpfen?
Das war nicht gut, wirklich gar nicht gut.
Jane nahm die Hand ihrer Freundin und lächelte ihr ermutigend zu.
Aber das Einzige, was Sabrina denken konnte, war, dass das Ganze sehr nach einer bevorstehenden Katastrophe aussah.
Sabrina musterte den Boten verstohlen, der nervös einen Hut zwischen seinen Wurstfingern drehte. Mit einem dicken Mantel und Schal bekleidet, tropfte der Mann Ard-siúrs schönen Teppich nass. Seine rote Nase war genauso feucht und wässrig. Doch es war vor allem seine Statur, die Sabrinas Interesse weckte. Er war nicht größer als ein halbwüchsiges Kind, obwohl die Falten in seinem Gesicht und das silbergrau melierte Haar von einem mittleren Alter sprachen. Was für Dienstboten stellte Aidan neuerdings ein? Wahrscheinlich hatte er ihn von dieser Frau übernommen, die er geheiratet hatte.
»Seine Lordschaft hat Mr. Dixon geschickt, um Sie nach Dublin zu begleiten. Sie sollen Ihre Sachen packen und bereit sein, sich nicht später als übermorgen einzuschiffen.«
»Was?« Sabrinas Blick flog wieder zu Ard-siúr. »Nein! Ich meine, ich kann nicht verreisen. Nicht jetzt. Das ist unmöglich. Das muss ein Irrtum sein.«
Ard-siúr räusperte sich und rückte die Brille gerade, um den Brief noch einmal zu lesen. Nur das langsame Ticken der Standuhr unterbrach die Stille. »Lord Kilronan hat sich deutlich genug ausgedrückt. Er verlangt, dass Sie sich auf die Reise begeben, so bald es sich arrangieren lässt. Er sagt, er müsse Sie schnellstmöglich bei sich und seiner Frau in Dublin haben.«
»Aber wieso denn? Bisher hat er noch nie irgendeine Anstrengung unternommen, um mich zu sehen.«
Ard-siúr wandte sich dem Kleinwüchsigen zu, der unbehaglich in einer Ecke stand. »Wenn Sie mit Schwester Anne gehen, wird sie dafür sorgen, dass Sie ein Zimmer und etwas zu essen erhalten. Unsere Gästezimmer sind einfach, aber trocken«, sagte sie mit einem Blick auf seinen tropfenden Hut.
Er verbeugte sich und patschte durch einen letzten Guss aus seiner Hutkrempe hinter Schwester Anne her.
Ard-siúr ordnete die Papiere, mit denen ihr Schreibtisch übersät war. Tatsächlich erstreckte sich die Unordnung auf das ganze Zimmer, wie Sabrina jetzt bemerkte. Nicht so, dass sie auf den ersten Blick auffiel, doch wer das Zimmer kannte, merkte es. Es war eine Folge des unerlaubten Eindringens, und ein Hauch von Gewalttätigkeit lag sogar noch immer in der viel zu warmen Luft. Selbst die Katze schien unruhig zu sein, denn sie tigerte über den Boden und schnupperte an einem Fleck, der bei Sabrinas letztem Besuch noch nicht da gewesen war. Braun, frisch und hastig aufgewischt.
Ich erinnere mich an Blut. Und an den Morast, in den ich stürzte.
Was hatte Daigh wirklich in dieses Zimmer geführt in der Nacht, in der sie ihn hier getroffen hatte? War es in irgendeiner Weise mit seinem Verschwinden heute früh verbunden? War sie eine naive kleine Närrin gewesen? Sabrina holte tief Luft, weil ihr plötzlich schwindlig wurde, und konzentrierte sich auf Ard-siúr, um sich davon abzulenken, dass sich das ganze Zimmer um sie drehte.
Ard-siúr nahm die Brille ab und sah Sabrina so lange an, dass sie sich voller Unbehagen zu bewegen begann. »Ich könnte mir vorstellen, dass die kürzliche Genesung Seiner Lordschaft diese neue Entschlossenheit hervorgerufen hat. Viele, die mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden wie ihr Bruder in diesem Frühjahr, versuchen, ihr Leben in Ordnung zu bringen und vergangene Fehler zu berichtigen. Zu ändern, was sie als Schwäche sehen.«
»Dann bin ich also ein Fehler oder eine Schwäche?«
»Sie sind seine Schwester. Ich bin sicher, dass er sich Ihrer Zufriedenheit hier vergewissern will, um gewiss sein zu können, dass Ihr Herz sich noch immer an ein Leben unter uns gebunden fühlt.«
»Oder will er mich nur benutzen, um die vorteilhafte Heirat zu erreichen, die er selbst ausschlug, als er … diese Frau heiratete?« Sabrina konnte sich noch nicht dazu überwinden, ihre frischgebackene Schwägerin beim Namen zu nennen. Aus irgendeinem Grund wurmte Aidans schnelle, unüberlegte Heirat sie, obwohl sie selbst nicht sagen
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