Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
konnte, aus welchem Grund. Es war ja nicht so, als gönnte sie ihrem Bruder sein Glück nicht. Nur …
»Sabrina, Sie sind als verwundetes junges Mädchen zu uns gekommen, und wir haben Ihnen erlaubt, sich bei uns zu verbergen und den Frieden in diesem Konvent zu nutzen, um sich zu erholen. Und das haben Sie. Aber heute sind Sie eine erwachsene Frau. Sie müssen Ihre Stärke testen und zu einem Leben außerhalb unserer Mauern zurückkehren. Nur so können Sie Ihre Wahl treffen und sich Ihres Weges sicher sein.«
»Doch was ist, wenn Aidan mir nicht erlaubt zurückzukehren?«
»Ich bin mir sicher, dass Ihr Bruder Sie nicht daran hindern wird, Ihrem Herzen zu folgen und den Weg zu wählen, der der richtige für Sie ist.«
»Dann sind Sie noch nie auf Douglas’sche Beharrlichkeit gestoßen. Wenn Aidan etwas will, gibt er nicht eher Ruhe, bis er es erreicht.« Wie ihre sofortige Abreise beispielsweise.
»Oh, aber Sie verfügen über die gleiche Beharrlichkeit, Sabrina.«
Wie konnte das passieren? Wie konnte Aidan ihr das antun? Wusste er nicht, was der Orden ihr bedeutete? Verstand er ihr Bedürfnis nicht, hier bei den bandraoi zu bleiben, wo sie ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft empfand und wo sie sich sicher fühlte? Aber Aidan hatte sie ja noch nie verstanden. Sich noch niemals die Zeit dazu genommen. Es war immer Brendan gewesen, der sich bemüht hatte, sie aus ihrem Schneckenhaus herauszulocken. Oder, falls nötig, zu ihr hineinzukriechen und sie sie selbst sein zu lassen, ohne Kritik an ihr zu üben.
Sabrina umklammerte den Stuhlrücken und konzentrierte sich auf das kühle, glatte Holz unter ihren Händen. Auf den Luftzug, der die Tapisserien bewegte. Alle bis auf eine. Die Wand hinter Ard-siúrs Schreibtisch war gähnend leer. Nur ein Fetzen Wolle hing noch an einem Nagel. Sabrina konnte den Blick nicht abwenden von diesem zerrissenen Stückchen Stoff, dieser sich auf einem Hauch von Wind bewegenden Erinnerung an Daighs Verbrechen.
Ein Mann mehr, den sie in ihrer Vorstellung zu etwas aufgebaut hatte, was er nicht war. Allerdings war dieser Mann schon nach wenigen Tagen von seinem Sockel gestürzt statt nach einer ganzen Lebenszeit.
»Fahren Sie, Kind! Ich schicke Ihnen jemanden, der Ihnen beim Packen hilft.«
»Ja, Ehrwürdige Priorin.« Sabrina wandte sich zum Gehen, doch ein plötzlicher Einfall veranlasste sie, sich noch einmal umzudrehen. »Hat mein Bruder eine Zofe für mich mitgeschickt?«
»Außer Mr. Dixon habe ich niemanden gesehen. Vielleicht hat Seine Lordschaft angenommen, dass eine der Schwestern Sie begleiten würde.«
»Darf ich dann um eine bitten?«
»Wenn wir sie erübrigen können. Wen hätten Sie denn gern?«
»Jane Fletcher.«
Ard-siúr überlegte. Dabei trommelte sie mit den Fingern auf den Tisch. »Sie war nervös und nicht mehr sie selbst seit diesem Überfall. Vielleicht würde ein Ortswechsel ihr gut tun.« Die Priorin nickte. »Gut, sie darf Sie nach Dublin begleiten und bleiben, bis Sie sich eingelebt haben.«
»Danke, Ard-siúr!«
»Ich bin sicher, dass Lord Kilronan überzeugt ist, in Ihrem besten Interesse zu handeln. Sie sind die einzige Familie, die ihm geblieben ist.«
»Sind Sie sich dessen so sicher?«, gab Sabrina, wie berauscht von ihrem kleinen Sieg und unbesonnen vor Groll, ganz ungewöhnlich scharf zurück.
Ard-siúr Trommeln brach ab, und es war nicht zu übersehen, wie sie aufhorchte.
»Sie haben mich einmal gefragt, ob ich je Post von Brendan erhalten hätte«, sagte Sabrina. »Sie glauben den Amhas-draoi , nicht? Sie denken, dass er noch lebt.«
Ard-siúr spreizte abwehrend die Hände. »Ich kenne bloß die Gerüchte, und auch wenn sie täglich lauter werden, sind sie nach wie vor nur das: Gerüchte.«
Sabrinas Blick fiel wieder auf den Fetzen Stoff an dem Nagel über Ard-siúr. »Glauben Sie, dass er all das wirklich getan hat? Dass er so böse und gefährlich war, wie man von ihm behauptet?«
Ard-siúr entging nicht, in welche Richtung Sabrina blickte. »Und von wem sprechen wir jetzt?«, erkundigte sie sich sanft. »Von Brendan Douglas oder Daigh MacLir?«
Sabrina tat die Frage mit einem Schulterzucken ab. »Ach, vergessen Sie es, Ard-siúr! Das ist ja jetzt wohl nicht mehr wichtig, oder?«
Die klügste und mächtigste der Priesterinnen legte die Fingerspitzen unter dem Kinn aneinander. »Für Sie, Sabrina, ist es, glaube ich, sogar sehr wichtig.«
Kapitel Neun
C ork war eine Stadt, in der es nur so wimmelte von Leben. Die
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