Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
Anna. Vorgestern Nacht wurdest du von einem Psychopathen attackiert, aber jetzt stehst du vor mir, ohne den kleinsten Kratzer und aufgemacht, als kämst du gerade von einer Party. Dein Haus brennt vor deinen Augen nieder, aber bisher hast du keinerlei Gefühlsregung gezeigt.«
Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Aber das ist egal, denn er redet sowieso weiter.
»Ich weiß, wo das Problem liegt, Anna. Es ist dieser verdammte Dr. Avery. Er hat dich aus dem Krankenhaus entlassen, bevor du so weit warst. Du stehst immer noch unter Schock, und dieser Quacksalber hätte das merken müssen, aber es war ihm wohl egal. Ich gehe jetzt auf die Suche nach diesem Dr. Avery, und wenn ich ihn gefunden habe –«
Ich lege David besänftigend eine Hand auf den Arm, um die Schimpftirade zu unterbrechen. »Es ist nicht Dr. Averys Schuld, dass mein Haus abgebrannt ist. Und du hörst das vielleicht nicht gern, aber du täuschst dich, was ihn angeht. Er war –« Ich suche nach den richtigen Worten. »Na ja, er hat sich die letzten Tage um mich gekümmert.«
»Wie bitte?« Die Falten um seinen Mund graben sich wieder deutlich ein, als er empört die Stirn runzelt. »Er hat sich mit dir in Verbindung gesetzt?«
So könnte man es auch ausdrücken. Ich nicke.
»Der hat vielleicht Nerven! Was bezweckt er damit? Will er seinen Arsch retten? Er muss wissen, dass er einen Fehler gemacht hat, als er dich so früh entlassen hat. Damit kommt er nicht durch. Das ist ein Kunstfehler, mindestens. Anna, wir werden das Krankenhaus verklagen.«
Jetzt bin ich es, die plötzlich völlig erschöpft ist. Ich will nicht mehr mit David streiten, und ich habe keine Lust mehr, mich oder Avery zu verteidigen. Ich wende mich von David ab und gehe zu dem zurück, was von meinem Zuhause übrig ist.
Einer meiner Nachbarn, ein Zahnarzt mit dem scheußlichsten Haus in der ganzen Straße, ruft meinen Namen und streckt mir über die Polizeiabsperrung die Hand entgegen.
»Anna«, sagt er. »Ist das nicht schrecklich? Ein Glück, dass die Feuerwehr so schnell da war. Ich habe Rauch gesehen und sie angerufen und mich dann mit dem Gartenschlauch rausgestellt. Hab mein Haus gerettet. Tut mir leid, dass sie Ihres nicht retten konnten. Hier, stecken Sie das ein. Das ist die Visitenkarte meines Architekten. Er baut Ihnen in null Komma nichts ein neues Haus.«
So eines? Seines ist mehr als abscheulich. Dennoch nehme ich die Karte und schließe die Faust darum. Vielleicht ist der Kerl doch in der Lage, etwas anderes zu bauen als Scheußlichkeiten in rosa Stuck wie die Monstrosität meines Nachbarn. Ich muss darüber nachdenken –
Ich spüre eine Bewegung in der Nähe und höre eine Stimme in meinem Kopf. Anna, was geht hier vor?
Ich drehe mich um und sehe Avery die Straße entlangkommen. Ich hatte ganz vergessen, dass er ja nachkommen wollte. Leider hat David ihn auch schon entdeckt. Ich bin nicht schnell genug, um Avery zu warnen, und plötzlich steht David vor ihm.
David streckt die Hand aus und stößt Avery zurück. »Kommen Sie ihr ja nicht zu nahe«, sagt er. »Ich warne Sie. Sie haben schon genug Schaden angerichtet.«
Ich spüre Averys Anspannung und sehe die Gefahr in seinen Augen aufblitzen.
Tu ihm nichts, Avery, sage ich. Bitte. Geh nach Hause, ich komme später zu dir.
Avery wendet den Blick nicht von Davids Gesicht. Er steht völlig still, so absolut reglos, dass ich fürchte, er könne mich ausgeschlossen haben. Er strahlt einen beinahe elementaren Zorn aus. Als wir im Krankenhaus waren, hatte Avery Geduld mit David. Hier will er sich offenbar nichts mehr gefallen lassen.
Ich versuche noch einmal, ihn zu besänftigen. Avery. Bitte. Er ist mein Freund, und er macht sich Sorgen um mich. Lass es gut sein.
Ein langer Augenblick verstreicht. Avery begegnet meinem Blick. Ich spüre, wie sein Zorn nachlässt und seine Schultern sich entspannen. Dir zuliebe, sagt er zu mir. Aber dein Partner muss lernen, was Respekt ist.
Er tritt vor David einen Schritt zurück, und in diesem Augenblick gehe ich zu den beiden. Ich lege David eine Hand auf den Arm. »Ist schon gut, David. Lass Dr. Avery in Ruhe. Er wollte nur nach mir sehen. Er wird jetzt gehen.«
Letzteres war sowohl an Avery wie auch an David gerichtet. Er neigt den Kopf zu einem leichten Nicken und wendet sich ab. Kommst du später zu mir?, fragt er.
Ja. Aber ich muss erst hier fertig werden.
Avery sagt kein Wort mehr zu David, er macht auf dem Absatz kehrt und geht zurück in die
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