Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
Da steht nichts bis auf eine Tasse mit einer dunklen Flüssigkeit. Isst du nichts?
Er hält die Tasse hoch. Das ist alles, was ich brauche.
Ich fange mit den Eiern an, aber nach zwei Bissen schiebe ich den Teller schon von mir. Ich habe wohl doch keinen so großen Hunger.
Avery sieht mich lange an, steht dann auf und geht zum Kühlschrank. Er holt einen Krug heraus, gießt etwas von dem Inhalt in eine Tasse und stellt sie in die Mikrowelle. Nach dreißig Sekunden bimmelt die Uhr, und er bringt mir die Tasse.
Die Flüssigkeit hat eine dunkle, satte, unverkennbare Farbe. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Ich nehme an, das ist kein Motoröl?
Er lacht. Nein. Das ist Blut.
Meine Augenbraue klettert noch höher. Blut? Menschliches Blut?
Nein, Schweineblut. Natürlich ist das menschliches Blut.
Ich ertappe mich dabei, wie ich mich misstrauisch in der Küche umblicke. Avery, woher hast du Menschenblut?
Von den Dienern, die ich angekettet im Keller halte. Ich zapfe ihnen jeden Tag gerade so viel ab, dass ich mich ernähren und sie so lange wie möglich am Leben halten kann.
Zuerst trifft mich Angst wie eine eiskalte, unheimliche Hand und wirft mich beinahe um. Dann sehe ich das Blitzen in seinen Augen und spüre das Gelächter in seinem Geist, das er nur mühsam zurückhält.
Nur gut, dass ich meinen Revolver nicht hier habe. Dafür würde ich dich am liebsten erschießen.
Er lässt das Lachen heraus. Für so ein hartes Weibsbild bist du ganz schön leicht hereinzulegen.
Ich berühre die Tasse, schnuppere am Inhalt. Das riecht wie Blut.
Ich sagte doch, es ist Blut. Aber keine Sorge. Ich nehme es mir aus der Blutbank im Krankenhaus. Wenn wir Konserven haben, deren Haltbarkeitsdatum abläuft, bevor wir sie verwenden können, bringt ein befreundeter Labortechniker sie beiseite und gibt sie mir. Sonst würden sie das Blut nur wegwerfen, also warum sollte ich nicht noch Nutzen daraus ziehen?
Aber ich dachte, das ist nicht die Art Blut, die wir brauchen.
Streng genommen, nein. Du könntest davon nicht lange überleben. Aber du hast erst vor gut einem Tag bei mir getrunken, also brauchst du keine echte Nahrung. Ich habe das Gefühl, dass dein Appetit auf normales Essen schon fast verschwunden ist, aber du brauchtest offensichtlich etwas im Magen. Betrachte es als kleinen Snack zwischendurch.
Er zögert, und in seinem Geist formuliert sich eine zurückhaltende Frage.
Nein, antworte ich. Ich habe nicht von Donaldson getrunken. Allerdings hätte ich ihm liebend gerne die Kehle herausgerissen, wenn er nicht zur Kooperation bereit gewesen wäre. Aber jemand hat ihn getötet, bevor es dazu kam.
Wir trinken in niedergeschlagenem Schweigen. Das Blut schmeckt seltsam. Als ich bei Avery getrunken habe, war sein Blut voller Leben, köstlich, üppig und stark. Das hier schmeckt –
»Fade und abgestanden«, erklärt Avery, der meine Reaktion aufgefangen hat. »Wie der Unterschied zwischen einem wirklich guten alten Wein und einem billigen Modewein. Wenn du von einem Lebewesen trinkst, nimmst du mehr als nur flüssige Nahrung auf. Du nimmst die Essenz ihres Lebens auf. Tiefgekühltes Blut verliert diesen Funken sehr bald. Deshalb können wir nicht ewig davon leben. Aber es ist Blut und im Notfall durchaus zu gebrauchen.«
»Das hier ist ein Notfall?«
Avery stellt seine Tasse ab und ergreift über den Tisch hinweg meine Hand. »Du hattest eine schwere Nacht. Und ich fürchte, was dir heute bevorsteht, wird auch nicht einfach.«
Das fürchte ich auch. Wie Blei liegt das Wissen auf meinen Gedanken, dass ich David noch nicht näher bin als vor meiner Fahrt nach Beso de la Muerte.
Avery drückt meine Hand. »Was würdest du tun, wenn David ein Kautionsflüchtling wäre?«
Diese Frage erwischt mich eiskalt. »Wie bitte?«
»Was würdest du tun, wenn du ihn aufspüren solltest, weil er von der Polizei gesucht wird?«
Ich stelle die Tasse ab und schürze die Lippen. Nun ja, ich würde seine Kreditkarte überprüfen, ob er vielleicht ein Flugticket gekauft oder irgendwo ein Hotelzimmer genommen hat. Ich würde seine Freunde anrufen –
Ich suche Averys Blick. Gloria. Sie ist in New York.
Avery nickt, doch ich schüttele sofort den Kopf.
Er ist nicht bei Gloria. Er wäre nie einfach gegangen, obwohl er wusste, dass ich auf dem Weg zu ihm bin. Ich habe Blut in seiner Wohnung gefunden. Seine Brieftasche und seine Schlüssel waren auch da. Die Wohnungstür war offen. David ist nicht freiwillig gegangen. Er wurde entführt. Die
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