Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
Davids Loft fahren und nachschauen, ob ich irgendetwas übersehen habe – irgendeinen Hinweis darauf, was ihm zugestoßen sein könnte. Ich werde auch die Polizei verständigen. Ich kann nicht noch mehr kostbare Zeit verstreichen lassen, ohne Hilfe zu holen.
Mein Bein tut weh. Aber der Schmerz ist ein guter Beifahrer. Er hält mich wach. Nun fällt mir auf, dass zwei volle Tage vergangen sind, seit ich zuletzt richtig geschlafen habe. In der Nacht, die ich mit Avery verbracht habe, sind wir nicht viel zum Schlafen gekommen.
Dieser Gedanke führt mich wieder zu Max. Ich habe viele Fragen, seit ich ihn in Beso de la Muerte gesehen habe. Könnte er über die Existenz von Vampiren Bescheid wissen? Oder weiß er nur, dass sein Boss die Geisterstadt als Versteck für seine Handlanger benutzt? Unendlich viele neue Möglichkeiten würden sich auftun, wenn Max Vampire akzeptieren könnte.
Doch die Stimme der Vernunft sagt mir, dass das unwahrscheinlich ist. Vor allem, wenn die einzigen Vampire, zu denen er Kontakt hat, die Typen in diesem gottverlassenen Loch sind.
Außerdem, wenn er erfährt, was ich mit Avery getan habe –
Ich will gar nicht daran denken.
Stattdessen schalte ich auf Autopilot und konzentriere mich ganz auf die Fahrt, die Soledad Mountain Road hinauf. Ich habe diese Strecke in den letzten achtundvierzig Stunden so oft zurückgelegt, dass ich sie im Schlaf fahren könnte. Anscheinend wird es bei mir zur Gewohnheit, mitten in der Nacht vor Averys Tür zu stehen. Ich hoffe nur, er ist wach und hat nichts dagegen, dass ich heute bei ihm übernachte. In diesem großen Haus hat er doch bestimmt ein Gästezimmer.
Aber ich komme nicht einmal bis zur Haustür. Avery steht am Auto, sobald ich vor dem Haus halte. Er muss auf mich gewartet haben, denn er trägt Jeans und einen Pulli, die Ärmel bis über die Ellbogen hochgekrempelt. Sein Gesichtsausdruck verrät Besorgnis, als er mein Bein bemerkt.
»Was ist passiert?«, fragt er und nimmt mich auf die Arme wie eine Puppe.
»He«, sage ich, so überrascht davon, auf diese Weise hochgehoben zu werden, dass ich mich tatsächlich von ihm zum Haus tragen lasse. »Du musst dir ja große Sorgen gemacht haben. Ich kann es nicht fassen. Du sprichst richtig mit mir – ich meine, durch den Mund.«
Er trägt mich ins Wohnzimmer und legt mich auf ein Sofa vor dem Kamin.
»Woher wusstest du, dass ich heute Nacht noch zurückkomme?«
Er kniet sich neben mich und zerrt an den Säumen meiner Jeans, bis er schließlich die Seitennaht aufreißt und die Wunde frei legt. Er antwortet, ohne aufzublicken. »Du meinst, weil ich angezogen bin? Ich habe nicht auf dich gewartet. Ich bin gerade erst aus dem Krankenhaus zurückgekommen.« Seine volle Aufmerksamkeit gilt meiner Schusswunde, er dreht mein Bein hierhin und dorthin, bis er offenbar irgendetwas festgestellt hat und zufrieden ist. Dann lässt er sich auf die Fersen sinken und sieht mich an. »Der Pfeil ist glatt durchgegangen.«
Ich spüre so etwas wie einen leichten Luftzug im Nacken. Ich stütze mich auf die Ellbogen und richte mich auf. »Woher weißt du, dass es ein Pfeil war?«
Er wirft mir diesen »Dämlicher Schüler«-Blick zu. »Ich bin seit zweihundert Jahren Arzt. Ich weiß, wie eine Schussverletzung durch einen Pfeil aussieht. Du hättest ihn nicht herausziehen dürfen. Es wäre wesentlich weniger schmerzhaft gewesen, wenn du ihn drin gelassen hättest, bis ich ihn fachmännisch hätte entfernen können.«
»Oh.« Ich lasse mich wieder in die Kissen sinken. »Natürlich. Und wie erkläre ich der Grenzpolizei, warum ein Pfeil aus meiner linken Wade ragt? Ein Missverständnis mit ein paar Eingeborenen?«
Er ignoriert meine Bemerkung und beugt den Kopf tief über mein Bein. Er legt die Lippen auf die verletzte Haut und saugt sachte daran.
»Wow. Das ist schräg.«
Auch diese Bemerkung ignoriert er und leckt stattdessen mit der Zunge über die Wundränder, bis ich ein Kribbeln spüre, das tief in meinem Wadenmuskel anfängt und sich dann ausbreitet. Er schleckt weiterhin an der Wunde herum, und das Gefühl ist so angenehm, dass ich aufhöre, mich dagegen zu wehren, und den Kopf auf die Kissen lege. Er fängt an, mir im Kopf ein Schlaflied vorzusingen – ein Wiegenlied, Herrgott noch mal –, und bevor ich eine bissige Bemerkung darüber machen kann, bin ich tief und fest eingeschlafen.
Das Nächste, was ich mitbekomme, ist eine sanfte Berührung am Arm. Widerwillig reiße ich mich aus dem Schlaf los
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