Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
und glaube einen Moment lang, ich sei zu Hause, in meinem eigenen Bett, und Max wolle mich wecken.
»Nein, Anna. Nicht Max.« Avery spricht mit leiser Stimme und streicht mir das Haar aus dem Gesicht. »Tut mir leid.«
Ich öffne die Augen, schenke Avery ein schiefes Lächeln und rapple mich zum Sitzen hoch. Ich bin immer noch auf dem Sofa, und er hat eine Decke über mich gebreitet, die so weich ist, dass sie nur aus Kaschmir sein kann. »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Danke, dass du mich gestern Nacht aufgenommen hast.«
Er hält mir eine Tasse Kaffee hin. Als ich sie annehme, fragt er: Was macht dein Bein?
Ich trinke einen Schluck und gebe ihm die Tasse zurück, damit ich die Wolldecke wegschieben kann. Als ich auf meine Wade hinunterschaue, will ich meinen Augen nicht trauen. Wo der Pfeil eingedrungen ist, ist nicht einmal mehr ein Kratzer oder blauer Fleck zu sehen.
»Ein Jammer, dass du das mit deinen sterblichen Patienten nicht machen kannst. Ziemlich beeindruckend.«
Er lacht. Na ja, du hast auch deinen Teil dazu beigetragen. Du bist erstaunlich stark.
Er zögert einen Moment, während ich es mir wieder bequem mache, und fragt dann: Was ist geschehen? Ich kann nur annehmen, dass du David nicht gefunden hast.
Nein. Ich lasse ihn die Erinnerung aus meinem Kopf abgucken, und diese Traurigkeit senkt sich wieder über mich und tränkt meine Gedanken mit einer Verzweiflung, die ich gar nicht erst zu verbergen versuche.
Avery liest in meinen Gefühlen und versucht, mich zu trösten. Was willst du jetzt tun, da Donaldson tot ist?
Ich will zurück zu Davids Wohnung. Mich noch ein bisschen umschauen. Vielleicht habe ich etwas übersehen. Wenn ich nichts finde – Ich zucke mit den Schultern. »Ich werde wohl die Polizei einschalten müssen.«
Er nickt. Ich gebe dir die Privatnummer von Chief Williams. Ich habe ihm berichtet, was wir wissen, aber bisher hat er von seinen Kontakten nichts erfahren. David ist wie vom Erdboden verschluckt.
Das ist nicht gerade das, was ich hören möchte. Ich stehe vom Sofa auf. Ich habe gestern meine Reisetasche irgendwo stehenlassen, nicht?
Avery weist zur Treppe. Ich war so frei, deine Sachen in eines der Gästezimmer im ersten Stock zu bringen. Ich hoffe, das ist dir recht.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn auf die Wange. Du bist ein wahrer Freund.
Ein wahrer Freund? Er legt mir die Hände auf die Schultern und küsst mich energisch auf den Mund. Ist das alles?
Aber das ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, und ich bin zu durcheinander, um ihm eine passende Antwort zu geben. Er erkennt die Signale, lässt die Hände sinken und tritt einen Schritt zurück. Aber er lächelt dabei und deutet wieder zur Treppe.
Die erste Tür links – gegenüber von meinem Schlafzimmer. Bis du geduscht hast, ist das Frühstück fertig.
Ich trotte die Treppe hinauf und frage mich, wie ich ihm all die Hilfe je vergelten soll.
Seine Stimme folgt mir. Da fällt uns schon was ein.
Das Gästezimmer ist groß, die Wände sind in zartem Gelb gestrichen. Dünne Spitzenvorhänge wehen in der Brise vor einem offenen Fenster. Die helle Morgensonne spiegelt sich in glänzend poliertem Mahagoni und den Rahmen prächtiger alter Ölgemälde, die mir vage bekannt vorkommen. Alte Meister, das möchte ich wetten, und zwar Originale, keine Kopien. Avery hat meine Tasche sogar ausgepackt. Ich finde meine Klamotten säuberlich zusammengelegt in einem Schrank. Ich hatte gar keine Toilettenartikel dabei, aber das angrenzende Badezimmer ist gut ausgestattet. Mit Sachen für Frauen. Duftende Shampoos und Badeöle und so weiter.
Hat er das extra für mich gemacht, oder hat der liebe Onkel Doktor jede Menge Damenbesuch?
Geht mich eigentlich nichts an, oder? Ich sollte einfach dankbar dafür sein, dass alles da ist.
Und das bin ich auch. Eine Dusche und saubere Kleidung beleben zumindest meinen Körper, wenn auch nicht meinen Geist. Avery erwartet mich mit Eiern und Speck und Toast, als ich wieder herunterkomme. Der Duft löst eine unwillkürliche Reaktion aus – mein Magen knurrt laut, so hungrig bin ich.
Avery hat für zwei gedeckt, an einem kleinen Tisch in einer Ecke einer riesigen Küche. Sie sieht aus wie eine Restaurantküche, mit viel Edelstahl, sämtlichen Geräten und mehreren Hektar makelloser weißer Fliesen. Er rückt mir den Stuhl zurecht, und ich lasse mich darauf sinken.
Als ich nach meiner Gabel greife, fällt mein Blick auf seine Seite des Tisches.
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