Verführung der Nacht (German Edition)
sie lachend und ich spüre ihre zarten Hände an meinen Schultern, wie sie meinen Oberkörper aufrichtet und ihn an eine kalte Mauer lehnt.
Jetzt spüre ich auch meine Wirbelsäule, vom Kopf bis hinunter zum Steißbein, wie spitze Nadeln in meinem Körper.
Öffne deine Augen.
Aus ihrem Mund ist das ein Befehl, der mir eine Gänsehaut auf die Arme zaubert. Obwohl es eine unglaubliche Anstrengung ist und die Schmerzen wie ein Aufschrei in meinem Kopf entflammen, versuche ich es trotzdem. Weil ich das sichere Gefühl habe, dass Amalia mit mir schlimmere Sachen anstellen könnte. Als ich endlich etwas sehen kann, blicke ich in zwei große, violettfarbene Augen, die mich neugierig und voller Vorfreude anschauen.
Du bist so schwach und hilflos , sagt sie. So bemitleidenswert.
Sie richtet sich auf und lacht ein weiteres Mal. Ich weiß, dass sie mich nicht bemitleidet sondern verhöhnt. Sie geht von mir weg und ich kann den Raum erkennen: es ist die große, schwarze Halle, in der ich ihr das erste Mal begegnet bin.
Amalia trägt ein langes, weinrotes Kleid aus Seide, welche sich um ihren Körper wickelt, als wäre dieser Stoff nur für ihn bestimmt. Alles ist so wie beim letzten Mal, nur dass die zwölf Männer fehlen und stattdessen Leon neben dem Diwan steht. Er sieht mich nicht an, sondern blickt zu seiner Königin, folgt jeder ihrer Bewegungen.
„ Hat sie nicht einen hübschen Bluterguss um ihre Augen?“, fragt sie und er lächelt.
Amalia geht zu ihm und lehnt sich an ihn, legt ihren Kopf auf seine Schulter und sieht mich an.
„ Weißt du, warum mein treuer Diener eine Sonnenbrille trägt?“, fragt sie mich. Bevor ich überhaupt ein Zeichen einer Antwort geben kann, redet sie schon weiter.
„ Er trägt eine, weil man in seinen Augen seine ganze Geschichte lesen kann. Den Schmerz, den Verlust, die Enttäuschung,… den Hass. Den Hass auf die Person, die ihm alles genommen hat und dessen Verrat so tief und dunkel ist, dass die Wunden nie wieder heilen.“
Sie bewegt ihre Hand zu der Brille und zieht sie von seinem Gesicht, wirft sie achtlos zu Boden.
Als ich in Leons Augen blicke, sind sie rot. Dort, wo die Iris und die Pupille des Menschen zu sehen ist, ist bei ihm eine blutrote Kugel. Und als ich in diese Augen blicke, falle ich tief, sehr tief. Ich falle in ein dunkles Loch voller Schmerzen, Verluste, Enttäuschungen und starker Gefühle des Hasses. Sie wallen über mir auf und umschlingen mich, zerreißen mich und halten mich fest.
Ich fühle mich wie eine Feder im Wind, die von allen Seiten nur geschubst wird und niemals Kontrolle über sich selbst hat. Samtweich wie Seide und doch spitz wie Dornen schlingen sich die Emotionen um meinen Körper, meine Seele, meinen Geist. Ich kann nicht fliehen und erliege hilflos diesen Qualen… seinen Qualen. Seine Gefühle, die er in sich trägt.
Seine Vergangenheit, die ihn verfolgt und nicht loslässt. Und seine Trauer. Ich kann diese Qualen nicht ertragen und doch möchte ich weinen, weinen um sein so trauriges Schicksal und ihn trösten, ihm die Wärme schenken, die er nicht besitzt.
Als er die Augen schließt, bin auch ich erlöst und kann meine Augen ebenfalls endlich schließen, den Kopf erschöpft an die Wand lehnen. Ganz vorsichtig natürlich, weil der pochende Schmerz nicht weg ist, sondern nur etwas abgeflacht. Der Bruch scheint zu heilen.
Der blonde Vampir hebt seine Sonnenbrille auf und setzt sie sich wieder auf. Er ist wieder Leon: kalt und unantastbar. Doch ich weiß nun, wie er wirklich ist, was in seinem Inneren vorgeht, was man in seinen Augen sehen kann. Und ich kann ihn einfach nicht mehr mit den Augen betrachten, mit denen ich ihn noch vor ein paar Minuten gesehen habe. Auch wenn ich es will, kann ich ihn nicht mehr hassen.
Amalias Kleid schleift über den Boden und ich spüre, dass sie näher kommt.
Was glaubst du, was dich erwartet? , fragt sie mich, als sie vor mir steht und auf mich hinab sieht.
Als ich nicht antworte, lacht sie und schnippst mit dem Finger. Es fühlt sich an, als würde sich in meinem Kopf etwas gedanklich entfernen, als würde eine Blockade sich lösen. Die Erinnerung an etwas Bestimmtes kehrt zurück und das fehlende Puzzlestück setzt sich an seinen Platz. Der Schreck sitzt tief, als ich die Szene in meinem Kopf durchgehe.
Leon hat mich aufs Bett geworfen, er hat mir gedroht und danach meine Erinnerung daran blockiert. Darum kam mir sein Verhalten so komisch vor. Er wird mich von Kyle weghalten
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