Verführung der Unschuld 2
Strecke, die sich in die Weinberge hinauf schlängelte. Zuletzt die zwei Kilometer lange, schmale Allee, die durch den Park zur Villa führte. Kaum hatte sie vor der Treppe gehalten, öffnete sich die Tür, und Mariella schritt hinab, ganz Dame.
Giulia hatte für dieses Treffen extra ein zweiteiliges Kleid mit kurzärmeliger Jacke gewählt, das sie fraulicher und erwachsener wirken ließ. Aber gegen Mariella konnte sie damit trotzdem nicht bestehen. In ihrem Kostüm aus feinem Stoff wirkte sie für eine Sightseeing-Tour durch Lucca nicht nur sehr elegant – und ein wenig unnahbar –, sondern geradezu overdressed.
»Ein schnuckeliges Auto fährst du da«, begrüßte Mariella ihre Schwägerin, nachdem sie es sich mit schräg aneinander gelegten Beinen auf dem Beifahrersitz bequem gemacht hatte.
»Vielleicht ein bisschen klein«, entschuldigte sich Giulia und hasste sich im selben Moment dafür, dass sie sich rechtfertigte. Sie liebte ihr Auto und ein größeres hätte sie gar nicht haben wollen. Der kleine Fiat ließ sich gut fahren und sie hatte kaum Probleme, einen Parkplatz zu finden. Nur weil Mariella mit ihren langen Beinen und ihrer zur Schau getragenen Eleganz darin deplatziert wirkte, brauchte sie selbst sich doch davon nicht einschüchtern lassen und sich entschuldigen, dass ihr Auto nicht größer war! Warum nur fühlte sie sich in Gegenwart von Menschen, die selbstbewusst und bestimmend auftraten noch immer so entsetzlich unsicher? Sie war kein Teenager mehr. Sie war eine verheiratete Frau, eine gut verheiratete Frau, und Mutter war sie auch schon!
Also reiß dich gefälligst zusammen und zeig, wer du bist!
»Was für ein toller Tag für einen Ausflug. Und nebenbei lernen wir uns ein bisschen besser kennen. Ich bin so froh, dass ich in meiner Nähe eine Schwägerin habe. Ich kenne doch sonst noch niemanden, und sich nur mit den Schwiegereltern zu treffen, ist auf die Dauer ziemlich öde. Es ist sehr lieb von dir, Giulia, dass du mir Lucca zeigst.«
Giulia lächelte zögerlich zurück. »Das Wesentliche hast du wahrscheinlich schon gesehen. Ich weiß nicht, ob ich dir wirklich etwas Neues bieten kann.«
»Oh doch, bestimmt. Ich kenne Lucca noch gar nicht.«
»Aber … wie … du warst noch nicht in der Stadt, seit du hier bist?«
»Nein, nur sehr kurz. Als Federico mich seinen Eltern vorgestellt hat. Es gab seither so viel zu tun. Es war einfach keine Zeit für mehr.«
Wirklich? Das hörte sich eigenartig an. Was machte Mariella den ganzen Tag über? Hatte Federico ihr erlaubt, das Innere des Hauses umzugestalten? Das konnte Giulia sich kaum vorstellen. Nun ja, sie würde später fragen, erst einmal galt es, sich langsam heranzutasten und herauszufinden, was für ein Mensch ihre Schwägerin überhaupt war.
Giulia drückte das Gaspedal durch, sobald sie die Allee verlassen hatten. Ein Ruck ging durch den Wagen, als hätte der Motor erst noch überlegen und tief Luft holen müssen. Dann schoss er über die schmale Straße Richtung Lucca davon.
Von Mariella kam keine Reaktion. Sie wirkte völlig entspannt.
»Hast du besondere Wünsche, was du sehen möchtest? Kultur oder Kaufhaus?«
Mariella schüttelte den Kopf und lachte. »Nein. Wenn du kannst, erzähl mir ein bisschen was über die Geschichte der Stadt. Damit ich mich nicht blamiere, falls wir mal Besuch haben, der sich für Sehenswürdigkeiten interessiert.« Sie lachte erneut. »Und dann zeig mir einfach mal, wo man in diesem Nest cool einkaufen kann und lass uns anschließend irgendwo einen Kaffee trinken gehen.«
»Okay. Let’s go«, erwiderte Giulia, von Mariellas heiterer Stimmung angesteckt und fuhr so schnell, dass sie mit Mühe den Wagen auf der kurvenreichen Strecke unter Kontrolle hatte. An einem Aussichtspunkt hielt sie an und stieg mit Mariella aus. Unter ihnen lag Lucca, im Schwemmlandgebiet des Flusses Serchio, der nördlich der Stadt in den Apenninen entsprang. Wie ein ausgebreitetes Bilderbuch zeugten die Dächer von der jahrhundertealten Entstehungszeit. Giulia wies ihre Schwägerin auf die abwechslungsreiche Vegetation hin, welche die Stadt umgab, deren rund achtzigtausend Einwohner ihr Auskommen in der Blumenzucht, Möbelproduktion und Landwirtschaft oder in der Herstellung von Tabakwaren, Papier, chemischen Erzeugnissen und Textilien fanden. Außerdem war die Stadt ein Markt- und Handelszentrum für Olivenöl, Gemüse und Wein.
»So klein ist es tatsächlich gar nicht. Die alten Paläste und die vielen schönen Plätze
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