Verführung der Unschuld 2
sehe ich auch so. Hauptsache, wir haben unsere große Liebe und unseren Lebensmittelpunkt gefunden, nicht wahr?«, ergänzte Giulia und meinte dies von ganzem Herzen so, wie sie es sagte. Nur ein paar Stunden, dann würde sie wieder in Lorenzos Armen liegen. Ach ja, sie vermisste ihn, auch wenn es vielleicht albern war. In ihrem Alter schwärmte man eigentlich nicht mehr, sie war schließlich kein Teenager mehr, und doch – sie schwärmte für ihren Mann. Zwar sahen sie sich jeden Abend und frühstückten jeden Morgen zusammen, ehe er das Haus verließ. Aber ihr Herz, es war so übervoll von Glück, dass sie genau in diesem Moment eine unstillbare Sehnsucht nach ihm quälte. Das war es wohl, was man die große Liebe nannte, die einen so ganz und gar ausfüllte. Wie wunderbar. Dieses Gefühl sollte niemals aufhören, auch wenn es sie innerlich fast verbrannte.
»Ja, genau. Unsere beiden Männer sind unser Lebenszentrum«, erwiderte Mariella.
Das klang ein wenig nüchtern, fand Giulia. Spielte ihre Schwägerin ihr vielleicht doch nur eine Zufriedenheit vor, die nicht echt war?
Ohne Eile schlenderten sie weiter, vorbei an weiteren Sehenswürdigkeiten wie den Kirchen San Michele, San Frediano und San Giovanni.
»Besteht Lucca denn nur aus Kirchen?«, stöhnte Mariella, nachdem sie zwei weitere Kirchen passiert und einige Minuten der Fassade gewidmet hatten.
»Das könnte man fast so sagen«, lachte Giulia. »Immerhin wird Lucca auch die Stadt der Hundert Kirchen genannt. Aber keine Sorge, wir werden uns nicht alle anschauen. Außer, du bestehst darauf.«
»Oh nein, das ist wirklich nicht nötig«, versicherte Mariella und mimte einen körperlichen Zusammenbruch.
»Nicht verzweifeln, wir kommen gleich zum absoluten Highlight von Lucca. Dann kannst du mitreden und bist für jede Art von Gästen gewappnet, ihnen etwas zeigen und erzählen zu können«, kündete Giulia ihre letzte und die ihrer Meinung nach bedeutsamste Sehenswürdigkeit an und hoffte, dass wenigstens diese Mariellas Begeisterung nochmal heben würde.
»Voilà, das römische Amphitheater aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus. Die Tribüne bestand aus zwei Reihen und fünfundvierzig Arkaden. Oder waren es vierundfünfzig? Na egal, auf jeden Fall konnte so um die zehntausend Zuschauer fassen.«
Stirnrunzelnd schaute Mariella die alten Mauern hinauf. »Tatsächlich? Das sieht aber so gar nicht nach Amphitheater aus. Eher nach Einkaufsmeile.«
Im Grunde genommen hatte sie Recht. Unzählige gut sortierte Geschäfte dominierten den unteren Bereich der halb antiken Mauer.
Giulia zog ihre Schwägerin weiter. »Komm, ich zeig’s dir.«
Nach wenigen Metern erreichten sie einen Torbogen und gingen hindurch. Auf der anderen Seite öffnete sich vor ihnen ein weitläufiger Platz, auf dem gerade ein Markt abgehalten wurde.
»Als das Theater, das damals außerhalb der Stadtmauern lag, nach Barbarenüberfällen verfiel, wurden die Steine teilweise abgetragen. Man hat sie vorrangig zum Bau der Kirchen verwendet. »
Mariella verdrehte die Augen, aber Giulia ließ sich nicht bremsen.
»… später aber auch für die Häuser, die auf den erhaltenen Restmauern gebaut wurden. Später entstanden auch Häuser innerhalb des Theaters.«
»Nun ja, damals wie heute war der Grund und Boden wahrscheinlich sehr wertvoll.«
Giulia nickte. »Im neunzehnten Jahrhundert hat ein Architekt die paar Gebäude, die innerhalb der Arena entstanden waren, abreißen lassen. Alles andere ist geblieben, und wie du schon selbst festgestellt hast, kann man hier ganz prima shoppen.«
»Und jetzt?«
»Wir könnten jetzt in ein Stadtcafé gehen oder zum Botanischen Garten fahren, der ist wirklich sehr schön angelegt und dort gibt’s auch ein Café.«
»Ähm, lass uns das ein anderes Mal machen. Das sind vielleicht doch zu viele Eindrücke auf einmal.«
Aha, dann drückten jetzt wohl doch diese Mörderschuhe?
»Ganz in der Nähe ist ein Café, nur zweimal um die Ecke. Ist das für dich in Ordnung?«
»Super, das machen wir.«
Kaum hatten die beiden Platz unter einem Sonnenschirm auf der Terrasse genommen, trat ein Ober an ihren Tisch und nahm die Bestellung auf. Mariella sah dem attraktiven jungen Mann prüfend und für Giulias Empfinden eine Spur zu lange hinterher. Würden sie und Federico einander treu sein?
»So, und nun erzähl mir mal genauer, wie ihr euch kennengelernt habt. Federico hat dazu ja nicht allzu viel gesagt«, verlangte Giulia und lenkte Mariellas Blick
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