Verführung Der Unschuld
dargestellt war, aber in einer Pose, die beim Betrachten eine
knisternde Spannung aufbaute und eindeutig den sexuellen Gehalt der Szene verdeutlichte.
Giulia schlug die Hände vor die Augen. Hörte das denn gar nicht mehr auf? Musste sie in
jedem Raum, an jeder Wand mit erotischen Motiven in Form von Figuren oder Bildern
rechnen? Sie fühlte sich verfolgt. Was für einen merkwürdigen Geschmack hatten die beiden
Männer! Sie wäre niemals auf die Idee gekommen, dass sich die erfolgreichen Morenos
offenbar am liebsten mit Sex beschäftigten! Sex – war das tatsächlich alles, woran Männer
dachten?
Ein Blick auf den Nachttisch verstärkte den neu gewonnenen Eindruck. Zögernd nahm sie
das zuoberst liegende, großformatige Buch in die Hand, einen wertvollen Fotobildband. Das
Cover zeigte einen üppigen, aber nicht fetten, überaus wohlgeformten, offensichtlich
weiblichen Po, über dem drohend der Stock schwebte, der bereits zwei Striemen auf der Haut
hinterlassen hatte.
Giulia zögerte. Vielleicht war es besser für sie, nicht zu neugierig zu sein. Aber es erging ihr
wie zu Hause als kleines Kind. Sie konnte verbotenen Reizen noch nie widerstehen. Sie
machte entschlossen die Augen zu und schlug das Buch irgendwo in der Mitte auf. Dann
zählte sie bis drei und öffnete die Augen. »Uuuh!« Ein erschrockener Aufschrei entfuhr ihren
Lippen. Sie klappte das Buch mit einem Ruck zu und hätte es beinahe fallen lassen. Ihr
Herzschlag raste. Es war geschehen. Der sekundenkurze Blick hatte genügt, um dieses Foto
für alle Zeiten in ihrem Gedächtnis einzubrennen: Gesicht und Oberkörper einer Frau, halb
von der Seite, halb frontal aufgenommen. Ihre Arme mit mehreren breiten Lederbändern
streng nach hinten gezogen und auf den Rücken gefesselt, wodurch die üppigen Brüste mit
den steil aufgerichteten Brustwarzen besonders effektvoll nach vorne gepresst wurden. Um
ihren Hals ein breites Lederhalsband mit Ösen, um sie irgendwo anzubinden. Die Augen von
einer großen schwarzen Seidenmaske bedeckt. Das Überraschendste aber: Der
Gesichtsausdruck war nicht leidend gewesen, sondern willig und lüstern. Der stark
geschminkte Mund war weit und rund geöffnet, formte ein erregtes Oh , bereit, freudig
entgegenzunehmen, was immer man in ihn hineinschieben würde – und der erigierte Penis
wartete schon lauernd am Bildrand darauf, diesen Mund zu erobern.
Giulias Arme überzog eine Gänsehaut. Sie legte das Buch ab. Doch obwohl sie beinahe vor
Schreck zitterte, konnte sie nicht dem Verlangen widerstehen, auch noch eines der anderen
Bücher in die Hand zu nehmen. Sie fasste es mit spitzen Fingern an, als ob sie sich daran
schmutzig machen würde.
Es war ein Roman, Umschlag und Titel vollkommen nichtssagend. Ein bunter Herbstwald,
darauf in Großbuchstaben: Herbstliebe. Sie drehte es um und las den Text auf der Rückseite
des Einbands. Da war die Rede davon, dass eine Frau Anfang fünfzig entschied, sich ihrem
Ehemann in sexueller Disziplinierung zu unterwerfen – wovon er immer geträumt, was er
aber nie ausgesprochen hatte – um das in Gewohnheit versunkene Ehebett neu zu beleben,
und dabei einen zweiten Frühling erlebte.
Gab es so etwas? Das war doch wohl reine Fantasie! Wenn sie an ihre Eltern dachte, ihre
Mutter wurde in zwei Jahren fünfzig, und ihr Mann war zehn Jahre älter – Giulia konnte sich
nicht vorstellen, dass ihre Eltern so etwas machen würden. Wer dachte sich denn solche
absurden Geschichten aus?
Giulia legte das Buch nun noch verwirrter als zuvor zurück, ordnete den Stapel sauber
übereinander und ging weiter. Wie erwartet ähnelte die Einrichtung des zweiten
Schlafzimmers dem ersten, wie die beiden Brüder sich rein äußerlich glichen. Nur waren hier
bereits die Fenster geöffnet, die Bettdecke und der Pyjama über eines der Simse geworfen und
anstelle einer Palme verströmten rote Blüten einer großen Pflanze, deren Namen Giulia nicht
kannte, ihren süßlichen Duft. Giulia hob die Decke an und breitete sie ordentlicher über das
Fensterbrett aus und hängte den Pyjama über den einzigen Stuhl.
Diesmal widerstand sie der Versuchung, in die Bücher und Zeitschriften auf der Bettablage
zu sehen. Welche Neigungen der Bewohner dieses Zimmers hatte, war ohnedies zu erkennen:
Das einzige Bild, ein großformatiges Schwarzweißfoto, das mitten über dem Kopfende hing,
zeigte die Rückenansicht einer attraktiven Frau bis zu den Kniekehlen. Sie stützte sich mit
flachen Händen an der Wand vor sich
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