Verfuehrung in bester Gesellschaft
wollte Violet und Caroline verlassen, sollte ihnen Einlass gewährt werden. Allerdings wusste sie nicht, wie Rule Dewar reagieren würde, wenn sie so uneingeladen an seiner Tür erschienen.
Als sie oben auf der Treppe ankamen, blieb Violet ein wenig ängstlich neben Caroline stehen, während Mrs Cummins an die reich verzierte Vordertür klopfte. Ein grauhaariger, hagerer Mann öffnete ihnen. Es war ganz offensichtlich der Butler. Er sah langsam von oben auf sie herab, so als könnte er sich nicht erklären, warum die drei Frauen vor ihm standen.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Violet sprach als Erste – immerhin war sie Rules Frau. „Ich bin Mrs Rule Dewar und ich bin gekommen, um meinen Gemahl zu sprechen.“
Der Butler runzelte die Stirn, sodass sich seine buschigen Brauen berührten. „Es tut mir leid. Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.“
„Dann gestatten Sie mir, es zu erklären“, sagte Mrs Cummins und bewegte ihre mächtige Gestalt näher zur Tür.
„Dies ist Mrs Dewar. Sie hat den Ozean überquert, um ihren Gemahl zu treffen. Und jetzt gehen Sie bitte ins Haus und sagen ihm, dass wir hier sind.“
Der Mann schüttelte den Kopf. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, wie ein Fisch auf dem Trockenen, während Violet an ihm vorbei ins Foyer ging.
„Wo ist er?“, fragte sie entschieden.
Der Butler sah sich hilfesuchend um, als die beiden anderen Frauen Violet ins Haus folgten.
„Ich fürchte … es tut mir leid, aber Seine Lordschaft ist nicht zu Hause.“
Seine Lordschaft? Violet hatte geglaubt, Rules Bruder wäre der Einzige in der Familie, der einen Adelstitel trug.
„Wann rechnen Sie mit seiner Rückkehr?“ Caroline meldete sich zum ersten Mal zu Wort.
„Irgendwann nach dem Essen. Es könnte recht spät werden. Lord Rule sagt mir selten, wohin er geht.“
Violet sah Caroline an, wie erstaunt sie war, dass Rule als Lord bezeichnet wurde. „Meine Cousine und ich benötigen jeweils eine Kammer“, sagte Violet. „Bitte führen Sie uns nach oben, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
„Aber … aber das kann ich nicht tun.“
Violet sah ihn streng an. „Warum nicht?“
„Weil ich … weil …“
„Bitte vergessen Sie nicht, dass ich die Ehefrau Seiner Lordschaft bin. Von jetzt an werden Sie auch mir gehorchen müssen. Ich hoffe, Sie möchten nicht, dass wir einen schlechten Anfang haben.“
Der alte Mann sah sie erschrocken an. Einen Augenblick lang stand er einfach nur da.
Caroline beugte sich zu ihr hinüber. „Er scheint nicht zu wissen, dass Dewar verheiratet ist“, flüsterte sie. Das hatte Violet inzwischen auch bemerkt.
„Dadurch wird eine Annullierung nur noch einfacher“, flüsterte sie zurück. „Ich warte“, sagte sie.
Der Butler räusperte sich. „Ich werde die Haushälterin Mrs Digby bitten, Sie nach oben zu bringen.“
Violet lächelte. Sie wandte sich an ihre Reisebegleiterin. „Sie haben gute Arbeit geleistet, Mrs Cummins. Caroline und ich sind sicher angekommen, genau wie Sie es versprochen hatten. Sie haben Ihren Auftrag erfüllt.“
Violet griff in ihr Retikül und holte den Scheck heraus, den sie vorbereitet hatte, um ihn Mrs Cummins nach ihrer Ankunft zu überreichen.
Die ältere Frau wirkte verunsichert. „Ich weiß nicht … Sie haben noch nicht mit Ihrem Gemahl gesprochen. Und dieser Mann hier scheint überhaupt nicht zu wissen, wer Sie sind.“
Violet zwang sich zu einem Lächeln. „Mein Gemahl war schon immer sehr zurückhaltend. Sie können sicher sein, dass er hocherfreut sein wird, mich zu sehen.“ Es war eine glatte Lüge.
Mrs Cummins streckte die Hand aus und nahm zögernd den Scheck entgegen, den Violet ihr reichte. „Wenn Sie möchten, bleibe ich noch ein paar Tage bei Ihnen.“
„Nein! Ich denke, das wird nicht nötig sein. Caroline wird in den nächsten Tagen bei mir bleiben, bis ich mich eingerichtet habe. Gehen Sie und besuchen Sie Ihre Familie. Das ist doch der Grund, warum Sie den weiten Weg nach London auf sich genommen haben, oder?“
Mrs Cummins lächelte. „Nun, wenn Sie ganz sicher sind …“
„Ich bin ganz sicher. Vielen Dank für alles.“
„Falls Sie mich brauchen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden können.“
Violet klopfte auf ihr Retikül. „Die Adresse befindet sich genau hier.“
„Also gut. Ich glaube, ich sollte tun, was Sie sagen. Ich freue mich darauf, meine Mutter und den Rest der Familie zu treffen.“ Mit einem letzten Abschiedsgruß und einem Winken verließ Mrs Cummins
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