Verführung in Manhattan
Siemusste sich unbedingt setzen, denn sie hatte das Gefühl, von einer Klippe gesprungen und mit dem Kopf aufgeschlagen zu sein.
Aber Mikhail sah sie so eindringlich an, dass sie vorsichtshalber stehen blieb.
Er hob sein Glas und hätte es am liebsten vom Balkon geschleudert. Stattdessen trank er einen Schluck. „Guter Sex ist für Körper und Geist wichtig. Aber er genügt nicht für das Herz. Das Herz braucht Liebe, und zwischen uns beiden war gestern Nacht Liebe.“
Hilflos ließ sie die Arme fallen. „Das weiß ich nicht. Ich hatte vorher noch nie guten Sex.“
Er betrachtete sie nachdenklich. „Du warst doch verheiratet.“
„Ja, ich war schon einmal verheiratet“, antwortete Sydney bitter. „Aber darüber möchte ich nicht reden, Mikhail. Reicht es nicht, dass wir gut zusammenpassen und ich etwas für dich empfinde, was ich noch nie erlebt habe? Ich möchte meine Gefühle nicht analysieren. Ich kann es nicht.“
„Du willst gar nicht wissen, was du empfindest?“ wunderte er sich. „Wie kannst du leben, ohne zu wissen, wie es in dir aussieht?“
„Deine Gefühle liegen offen da. Man erkennt sie an der Art und Weise, wie du dich bewegst und wie du redest. Man sieht sie deinen Augen und deiner Arbeit an. Bei mir ist das anders. Meine Gefühle sind tiefer verborgen. Ich brauche mehr Zeit.“
Er lächelte unmerklich. „Hältst du mich für einen geduldigen Mann?“
„Nein“, erklärte Sydney aufrichtig.
„Das freut mich. Denn dann wirst du begreifen, dass dir sehr wenig Zeit bleibt.“ Er begann das Geschirr zusammenzustellen. „Hat dir dein Exmann sehr wehgetan?“
„Jede gescheiterte Ehe schmerzt. Bitte, bedräng mich nicht.“
„Heute Nacht bestimmt nicht.“ Der Himmel über New York wurde langsam dunkel. „Ich möchte nämlich, dass du nur an mich denkst. Aber irgendwann möchte ich alles erfahren.“ Er brachte das Geschirr hinein und überließ es Sydney, die restlichen Sachen abzuräumen.
Mikhail liebt mich. Dieser Gedanke ging ihr nicht aus dem Kopf, während sie den Brotkorb und die Blume aufhob. Daran zweifelte sie nicht. Der Mann sagte grundsätzlich nur, was er auch meinte.
Aber sie wusste nicht, was er unter Liebe verstand.
Für Sydney war Liebe ein süßes, berauschendes und dauerhaftes Gefühl, das sie bisher nicht selbst kennen gelernt hatte. Ihr Vater hatte sie auf seine unberechenbare Weise geliebt. Aber sie waren nur für kurze Zeit in ihrer frühen Kindheit beisammen gewesen. Nach der Scheidung der Eltern hatten sie sich kaum noch gesehen.
Auch ihre Mutter liebte sie, das stand außer Frage. Doch Margerite interessierte sich für sie nicht stärker als für zahlreiche andere Dinge.
Außerdem hatte es Peter gegeben. Peter und sie hatte eine starke freundschaftliche Beziehung verbunden –aber nur, bis sie versuchten, sich wie ein Ehepaar zu lieben.
Freundschaftliche Liebe war es gewiss nicht, was Mikhail ihr geben wollte. Deshalb wurde Sydney zwischen schwindelndem Glück und panischer Angst hin und her gerissen.
Unsicher ging sie in die Küche, wo er die Arme bis zu den Ellbogen in das Abwaschwasser getaucht hatte. Sie stellte den Brotkorb und die Flasche mit der Pfingstrose ab und nahm ein Geschirrtuch.
„Bist du mir böse?“ fragte sie nach einer Weile zögernd.
„Ein bisschen. Eher verwirrt.“ Und verletzt, fügte er stumm hinzu, aber das brauchte sie nicht zu wissen. „Geliebt zu werden sollte dich glücklich machen.“
„Einerseits bin ich das auch. Andererseits habe ich schreckliche Angst, dass wir zu schnell vorgehen undalles zerstören, was wir gerade erst aufgebaut haben.“ Ich muss unbedingt offen und ehrlich mit Mikhail sein, das bin ich ihm schuldig, überlegte sie und fuhr fort: „Den ganzen Tag hatte ich mich darauf gefreut, mit dir zusammen zu sein, mit dir zu reden und dir zu erzählen, was ich erlebt habe. Auch dir zuzuhören. Ich wusste, du würdest mich zum Lachen bringen, und mein Herz würde wie wild rasen, wenn du mich küsst.“ Sie stellte eine trockene Schüssel beiseite. „Weshalb siehst du mich so merkwürdig an?“
Er schüttelte den Kopf. „Du merkst nicht einmal, dass du mich liebst. Aber das macht nichts“, beschloss er und reichte ihr die nächste Schüssel. „Du wirst es schon noch erfahren.“
„Du bist so arrogant, dass ich nicht weiß, ob ich dich bewundern oder verabscheuen soll“, antwortete sie unwillig.
„Und dieser Zustand gefällt dir, weil er dir die Möglichkeit gibt, dich gegen deine Gefühle
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