Verführung in Manhattan
Radio spielte leise Musik. In einer blauen Schüssel dampfte das Gulasch, und in einem Weidenkörbchen befand sich frisches Brot.
Während sie aßen, erzählte Sydney, dass sie Janine heute zu ihrer persönlichen Assistentin befördert und Lloyd dringend zur Kündigung geraten hatte. Sie wusste inzwischen, dass er die Presse von Mrs. Wolburgs Unfall unterrichtet hatte. Auch sonst hatte er der Firma mehrmals geschadet.
„Du hast ihn um die Kündigung gebeten?“ fragte Mikhail. „Weshalb hast du ihn nicht gleich rausgeworfen?“
„So einfach geht das leider nicht.“ Sie hob ihr Glas und betrachtete den Champagner im Abendlicht. „Das ändert allerdings nichts am Ergebnis. Falls Lloyd Schwierigkeiten macht, werde ich den Vorstand informieren.Schließlich habe ich zahlreiche Beweise. Nimm allein dieses Gebäude.“ Mit dem Zeigefinger stieß sie an einen alten Backstein. „Vor mehr als einem Jahr beauftragte mein Großvater Lloyd damit, sich um die Beschwerden der Mieter zu kümmern. Den Rest kennst du ja.“
„Eigentlich müsste ich Lloyd dankbar sein.“ Mikhail schob ihr das Haar hinters Ohr und küsste sie unmittelbar unter dem schwarzen Ohrring, den sie heute trug. „Hätte er seine Arbeit ordentlich erledigt, wäre ich nicht wütend in dein Büro gestürzt, und du wärst heute Abend nicht hier.“
Sydney nahm seine Hand und legte sie an ihre Wange. „Hätte ich ihn dafür befördern sollen?“ Sie drehte den Kopf, drückte die Lippen auf seine Handfläche und wunderte sich, wie leicht es ihr plötzlich fiel, ihre Gefühle zu zeigen.
„Nein. Nehmen wir lieber an, dass unsere Begegnung Schicksal war. Der Gedanke, dass du mit jemandem zusammenarbeitest, der dir schaden möchte, gefällt mir nicht. Du wirst es schon richtig machen.“ Er teilte den restlichen Champagner zwischen ihnen auf.
„Ja, das glaube ich auch.“ Sie sah zu den Nachbarwohnungen hinüber. Auf einigen Balkons trocknete Wäsche in der Sonne. Hinter den geöffneten Fensternliefen Leute hin und her oder saßen vor dem Fernseher. Kinder spielten auf dem Gehsteig und nutzten den langen Sommertag. Als Mikhail ihre Hand ergriff, drückte sie seine fest.
„Heute habe ich zum ersten Mal wirklich Verantwortung empfunden“, sagte sie ruhig. „Solange ich mich erinnere, hat mir immer jemand gesagt, was das Beste für mich wäre oder was die Leute von mir erwarteten.“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. „Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Mir ist in den letzten Monaten klar geworden, dass der, der verantwortlich ist, auch bereit sein muss, Verantwortung zu übernehmen. Das habe ich heute getan. Kannst du dir vorstellen, was für ein Gefühl das ist?“
„Ja, denn ich habe Augen im Kopf. Ich sehe eine Frau, die anfängt, sich selbst zu vertrauen und das zu tun, was sie für richtig hält.“ Lächelnd strich er ihr mit den Fingern über die Wange. „Zum Beispiel mit mir zu schlafen.“
Sie drehte sich zu ihm. Er war keinen halben Meter von ihr entfernt. Attraktiv und faszinierend ungebändigt, hätte bei ihm das Herz jeder Frau höher geschlagen. Aber bei ihr geschah mehr, als dass nur ihr Puls zu rasen begann, und sie wollte lieber nicht näher darüber nachdenken.
Mikhail zog sie in die Arme, rieb seine Wange an ihremHaar und flüsterte ihr Liebesworte ins Ohr, die sie nicht verstand.
„Ich muss mir unbedingt ein Wörterbuch besorgen“, erklärte sie und schloss verzückt die Augen.
„Dieser Satz ist ganz einfach“, antwortete er und wiederholte seine Worte zwischen zwei Küssen.
Lachend stand sie gemeinsam mit ihm auf. „Einfach für dich. Und was heißt er?“
Erneut berührte er ihre Lippen. „Ich liebe dich.“
Erschrocken riss Sydney die Augen auf. „Mikhail, ich …“
„Weshalb machen dir diese Worte Angst?“ unterbrach er sie. „Liebe ist keine Bedrohung.“
„Das hatte ich nicht erwartet.“ Sie legte eine Hand auf seine Brust, um etwas Abstand zu wahren.
Seine Augen wurden dunkel, und er trat einen Schritt zurück. „Was hattest du denn erwartet?“
„Ich dachte, du wolltest …“ Wie sollte sie es behutsam ausdrücken? „Ich nahm an, du wärst …“
„Nur an deinem Körper interessiert?“ ergänzte er hitzig. Er hatte Sydney so viel bewiesen, und sie hatte so wenig verstanden. „Natürlich begehre ich deinen Körper, aber das ist nicht alles. Willst du etwa behaupten, dass letzte Nacht nicht mehr zwischen uns gewesen ist?“
„Natürlich war mehr. Es war wunderschön.“
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