Verführung pur
kämpferischer Entschlossenheit preschte sie in den Laden, bereit, ihre Vorstellungen bis zum Letzten durchzuboxen. Der gestrige Kompromiss war schon schmerzlich genug gewesen, obwohl sie zugeben musste, dass der Lavendelton, auf den sie sich geeinigt hatten, einfach großartig aussah.
Was sie hier vorfand, entsprach jedoch ganz und gar nicht der Katastrophe, die sie erwartet hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass Seth eigenmächtig Regale aufgehängt hatte, wo sie keine wollte. Stattdessen arbeitete er einträchtig mit Noelle, Brock und Mias Großeltern zusammen.
Und zur Abwechslung nörgelten Betty und Norman mal nicht an Noelle herum. Erstaunlicherweise schienen sich alle exakt nach Mias Plänen zu richten, anstatt ihre eigenen Ideen für den neuen Beachcomber auf Biegen und Brechen durchsetzen zu wollen.
Waren ihre Tage als Friedensstifterin der Familie Quentin etwa vorbei? Früher hatte sie täglich zwischen den Fronten vermitteln müssen, doch das war heute Morgen vollkommen überflüssig.
Ihre Großmutter saß lächelnd in einem Klappstuhl, während Brock und Seth auf dem Boden knieten und neue Dielenbretter verlegten. Seth sah auf und begrüßte Mia mit einem vielsagenden Lächeln, das ungeheuer sexy war, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.
“Wir haben versucht, deinem Piraten beizubringen, dass er uns nicht helfen muss, aber er ließ sich nicht davon abhalten”, müffelte Betty zwischen zwei Bissen ihres riesigen Kopenhageners.
“Er ist unglaublich stur”, pflichtete Norman ihr bei, obwohl er sich daran nicht weiter zu stören schien.
Das hatte Mia gerade noch gefehlt! Seth genoss die Sympathie ihrer Großeltern. Wie wollte sie es schaffen, ihn auf sichere Distanz zu verweisen, wenn er das Unmögliche möglich machte und
sie
für sich gewann?
Sie war seinem Piratencharme also hilflos ausgeliefert. Wahrscheinlich würde sie schneller zu seiner Mitbewohnerin Nummer sechs werden, als ihr lieb war. Und genauso schnell würde sie dann wieder verschwinden, wie die bisherigen mysteriösen Freundinnen Seths ebenfalls.
Dieser Gedanke jedoch, auch wenn Mia nicht unter übertriebenen Verlustängsten litt, machte ihr Angst. Sie wusste, dass ihn zu verlieren sie mehr schmerzen würde, als sie verkraften konnte.
Noelle erkannte sofort, was mit Mia los war. Nur eine Quentin konnte ermessen, was es für eine Quentin bedeutete, wenn der Mann, den man liebte und gerade deshalb meiden wollte, plötzlich in den Kreis der Familie aufgenommen wurde. Und nicht genug damit, sondern Norman und Betty mussten sich in diesem Punkt auch noch jedes Mal so verdammt einig sein!
Aber ganz abgesehen von der unerwünschten Solidarität ihrer Eltern mit Seth – und mit Brock, wo sie schon mal beim Thema war –, machte sie sich vor allem Sorgen um Mias Seelenzustand. Sie sah heute Morgen aus, als würde sie jeden Moment entweder in Tränen ausbrechen oder einen Schreikrampf bekommen, in dem sich alles entlud, was die stets ausgeglichene und vernünftige Mia während der letzten zehn Jahre aufgestaut hatte.
“Ach, Brock?”, sagte Noelle, der keine andere Wahl blieb, als ausgerechnet den Mann um Hilfe zu bitten, der durch ihre sämtlichen Träume und Fantasien geisterte. “Hilfst du mir, meine Eltern ein wenig bei Laune zu halten? Ich glaube, Mia hat ein Geheimprojekt, an dem sie mit Seth allein arbeiten möchte. Stimmt's, Mia?”
Mia nickte eifrig. “Stimmt.”
Brock erhob sich und streckte sich. Er hatte ziemlich lange auf den Knien gearbeitet. Prompt fühlte sich Noelles Mund unangenehm trocken an, was ihr lästigerweise jedes Mal passierte, wenn sie ihn ansah. Mit seinen enorm breiten Schultern gab er jeder Frau das Gefühl, ihm wäre keine Last zu schwer. Noelle allerdings legte großen Wert auf ihre Unabhängigkeit, weshalb sie auf dieses Gefühl gut verzichten konnte. Sie brauchte niemanden, der ihr irgendwelche Lasten abnahm, vielen Dank.
Nein, sie fand ihn lediglich attraktiv und sah ihn gern an. Was war schon dabei?
“Klar”, meinte Brock. “Norman, was halten Sie davon, ein bisschen mit dem Boot rauszufahren und zu testen, ob die Fische heute beißen?”
Noelles Vater warf seinen Kopenhagener weg wie ein Schulkind seinen Füller, wenn es zur Pause läutete. “Ein toller Tag zum Fischen.”
Verräter. Was hatte Brock nur, dass er Norman dazu bringen konnte, innerhalb weniger Tage zur feindlichen Seite überzuwechseln? War ihrem Vater das Wohl seiner Tochter etwa vollkommen gleichgültig? Und
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