Verfuehrung unterm Silbermond
hingehen, aber sein Unternehmen hatte eine beträchtliche Summe gespendet, daher fühlte er sich verpflichtet, bei der Veranstaltung sein Gesicht zu zeigen.
Die üblichen Reporter lungerten mit gezückter Kamera hinter den Absperrungen am roten Teppich. Man warf Raffaele ein paar Fragen nach seiner Verlobten zu, doch er winkte nur kopfschüttelnd ab.
Im Hotel erkannte er mehrere Leute, mit denen er geschäftlich zu tun hatte – auch John Huntington, der an dem Abend dabei gewesen war, als Raffaele Natasha das erste Mal ausgeführt hatte. An Johns Arm hing eine schöne junge Frau, so wie immer.
Raffaele kniff unmerklich die Augen zusammen. War das dieselbe Frau wie beim letzten Mal? Er konnte es beim besten Willen nicht sagen. Irgendwie sahen sie alle gleich aus.
„Kennen wir uns bereits?“
Die Angesprochene schüttelte wild den Kopf, und keine Strähne des wasserstoffblonden Haars bewegte sich auch nur einen Millimeter. „Oh nein, daran würde ich mich ganz sicher erinnern“, flötete sie. „Johnny und ich sind ja auch erst seit zweieinhalb Wochen zusammen, nicht wahr, Johnny-Liebling? Wenn Sie mich entschuldigen wollen … ich will mir nur ganz schnell im Waschraum die Nase pudern!“
Damit schritt sie aufreizend davon, und die beiden Männer sahen ihr nach.
„Ihre Frauen werden immer jünger“, bemerkte Raffaele.
„Oh, sie sind beliebig austauschbar.“ John lachte jovial. „Wenn man so oft verheiratet war wie ich, achtet man darauf, das Ganze so locker wie möglich zu halten. Bindungen kosten zu viel Geld!“ Er runzelte die Stirn. „Aber die Frau, mit der ich Sie das letzte Mal gesehen habe, die hat mir gefallen. Sie war anders als die anderen.“
„Natasha?“ Er schaute über die Menge der anwesenden Gäste, sah die Seide und die steifen Frisuren und hörte das gekünstelte Lachen. Und nickte. „Ja, sie ist mit Sicherheit anders.“
Den ganzen Abend musste er an sie denken. Und die ganze Nacht.
Sie hatte ihm einen Brief zukommen lassen, mit der neuen Adresse und ihrer Telefonnummer. Sam hatte auch ein Blatt beigelegt, auf dem er schrieb, wie sehr ihm die neue Schule und die Umgebung gefielen, vor allem, weil er hier jeden Tag Fußball spielen konnte. Doch es hatte wehgetan, diese Zeilen zu lesen und auch Natashas Schrift wiederzusehen.
Raffaele starrte auf die kahlen Bäume im Garten. Vielleicht sollte er mal nach Sussex runterfahren. Dem Jungen ein Weihnachtsgeschenk mitnehmen. In Erfahrung bringen, was es bei Natasha Neues gab.
Er würde diese nagende Unruhe nie loswerden, wenn er es nicht wenigstens versuchte.
Es war ein kalter, klarer Wintertag. Raureif lag auf Feldern und Bäumen, rote Beeren leuchteten von Ilexhecken und Sanddornbüschen, sodass die Landschaft wie die Szenerie einer Weihnachtskarte aussah.
Raffaele fuhr an hübschen Häusern vorbei, in deren Fenstern die Lichter der Weihnachtsbäume blinkten. Dekorierte Kränze aus Tannenzweigen hingen an den Haustüren, um Besucher zu grüßen.
Die Schule war offensichtlich in einem alten Herrenhaus beherbergt, denn die Auffahrt zog sich lang und kurvig durch eine gepflegte Parklandschaft dahin. Es gab sogar einen kleinen See, an dessen Ufer sich eine Schar frierender Enten zusammendrängte.
Raffaele hatte seine Ankunft nicht angekündigt. Vielleicht war Natasha ja gar nicht da. Es könnte ja auch einen neuen Mann in ihrem Leben geben. Raffaele verzog den Mund, seine Finger umklammerten das Lenkrad seines sportlichen Wagens fester. Und warum sollte Natasha keinen anderen gefunden haben? Sie war in keinster Weise an ihn gebunden. Hatte er sie nicht schonungslos direkt wissen lassen, dass er sie nicht wollte?
Vor ihm lag nun eine Abzweigung nach links, und ein kleines Schild wies den Weg. Spring Cottage.
Als Raffaele näher kam, erkannte er eine vorgebeugte Person im Vorgarten, die ungestüm mit einem Spaten hantierte. Und obwohl diese Person eine dicke Wollmütze und warme Kleidung trug, wusste er sofort, dass es Natasha war.
Sie musste den Wagen gehört haben, denn sie hörte auf zu graben und richtete sich auf, stach den Spaten in den Boden und lehnte sich mit beiden Armen darauf.
Natasha starrte zu dem herankommenden Auto. Diesen Wagen kannte sie nicht – war das ein neuer? –, aber das machte keinen Unterschied. Sie brauchte auch nicht das im Schatten liegende Gesicht des Fahrers zu sehen. Raffaele würde sie immer und überall erkennen, ob im Dunkeln oder hundert Meter entfernt, so fein waren ihre Antennen auf ihn
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