Verfuehrung
unziemlich.«
»Ja, Großmutter. Aber, ist es dir vielleicht entgangen, daß die un-ziemlichen Konversationen meist die interessantesten sind.«
»Kein Wort mehr, Mädchen. Und dasselbe gilt auch für dich, Theo.«
»Ja, meine Liebe.«
»Ich weiß nicht, ob Eure Schlüsse hinsichtlich Lord Ravenwoods
Motiven richtig sind oder nicht«, informierte Lady Dorring sie in sehr ernstem Tone, »aber ich weiß, daß er und ich in einem Punkt einer Meinung sind. Du, meine liebe Sophy, solltest dem Grafen sehr dankbar sein.«
»Ich hatte tatsächlich einmal Gelegenheit, dem Grafen dankbar zu sein«, sagte Sophy traurig. »Nämlich als er so galant war, mich bei einem der Bälle während meiner Saison in London aufzufordern. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war mein einziger Tanz an diesem Abend. Ich bezweifle, daß er sich überhaupt daran erinnert. Er hat die ganze Zeit über meine Schulter geguckt, um zu sehen, wer mit seiner kostbaren Elizabeth tanzt.«
»Jetzt zerbrich dir nicht den Kopf über die erste Lady Ravenwood. Sie ist tot, und keiner weint ihr nach«, sagte Lord Dorring unverblümt, wie es nun mal seine Art war. »Einen guten Rat, junge Lady. Hüte dich davor, Ravenwood zu provozieren, dann wirst du ganz gut mit ihm auskommen. Erwarte nicht mehr als vernünftig ist von ihm, dann wird er dir ein guter Ehemann sein. Der Mann kümmert sich um sein Land, und er wird sich auch um seine Frau kümmern. Der Mann hegt und pflegt, was ihm gehört.«
Ihr Großvater hatte zweifelsohne recht. Zu diesem Schluß kam Sophy, als sie später an diesem Abend wach im Bett lag. Sie war überzeugt, daß Ravenwood auch nicht schlimmer sein würde als andere Ehemänner, wenn es ihr gelänge, ihn nicht über die Maßen zu provozieren. Sie würde ihn ohnehin nicht allzu oft sehen. Während ihrer Londoner Saison hatte sie gelernt, daß die Ehefrauen und Ehemänner der Gesellschaft meist ein völlig getrenntes Leben lebten.
Das war natürlich nur zu ihrem Vorteil, wie sie sich einzureden versuchte. Sie hatte schließlich eigene Interessen. Als Ravenwoods Gemahlin hatte sie Zeit und Gelegenheit, in aller Ruhe ihre Untersuchungen wegen der armen Amelia weiterzuführen. Eines Tages, schwor sich Sophy, würde es ihr gelingen, den Mann aufzuspüren, der ihre Schwester verführt und dann im Stich gelassen hatte.
Während der letzten drei Jahre hatte sich Sophy zum Großteil an den Rat der alten Bess gehalten und den Tod ihrer Schwester verdrängt. Aus ihrer ursprünglichen Wut war Resignation geworden. Hier draußen auf dem Land bestand nur wenig Hoffnung, den unbekannten Mann, der dafür verantwortlich war, zu stellen.
Aber wenn sie den Grafen heiratete, würde alles anders werden.
Sophy konnte nicht ruhig liegenbleiben. Sie schob die Decke beiseite und stieg aus dem Bett, dann tappte sie barfuß über den fadenscheinigen Teppich zu ihrem kleinen Schmuckkästchen auf dem Toilettentisch. Auch ohne Kerze fand sie sofort den schwarzen Metallring in dem Kästchen. Sie hatte ihn schon so oft in der Hand gehabt, daß sie ihn blind erkannte. Ihre Hand umschloß ihn.
Kalt und hart lag der Ring in ihrer Hand. Sie spürte auf ihrer Handfläche das seltsame Dreiecksmuster, was darauf eingraviert war.
Sophy haßte diesen Ring. Sie hatte ihn in der Hand ihrer Schwester gefunden in der Nacht, als Amelia eine Überdosis Laudanum geschluckt hatte. Und Sophy hatte sofort gewußt, daß dieser Ring nur dem Mann gehören konnte, der ihre schöne blonde Schwester verführt und geschwängert hatte - der Liebhaber, dessen Namen Amelia nicht hatte preisgeben wollen. Eines der wenigen Dinge, die Sophy herausgefunden hatte, war, daß dieser Mann auch einer von Lady Ravenwoods Liebhabern gewesen war.
Und noch eines wußte Sophy mit Sicherheit: Ihre Schwester und dieser unbekannte Mann hatten die Ruinen des Normannenschlosses auf Ravenwoods Land für ihre heimlichen Schäferstündchen genutzt. Sophy hatte den alten Steinhaufen immer gerne skizziert, bis sie eines Tages Amelias Taschentuch dort gefunden hatte. Das war einige Wochen nach dem Tod ihrer Schwester gewesen. Seit diesem schicksalhaften Tag hatte Sophy die pittoreske Ruine gemieden.
Welch bessere Möglichkeit könnte es geben, die Identität des Mannes festzustellen, der ihre Schwester in den Tod getrieben hatte, als die neue Lady Ravenwood zu werden?
Sophy drückte den Ring einen Augenblick fest in ihrer Hand, dann ließ sie ihn in das Schmuckkästchen zurückfallen. Es war wirklich
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