Verfuehrung
begrüßenswert, daß sie einen vernünftigen, rationalen, realistischen Grund hatte, den Grafen von Ravenwood zu heiraten, weil der andere Grund, seine Frau zu werden, sich wahrscheinlich als sinnloses Unterfangen erweisen würde.
Sie hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, den Satan wieder zu lehren, was Liebe ist.
Julian lümmelte in lässiger Pose in seiner gutgefederten Reisekutsche und musterte seine frischgebackene Gräfin mit kritischem Auge. Er hatte Sophy in den letzten paar Wochen kaum zu Gesicht bekommen. Er hatte sich eingeredet, es wäre nicht nötig, ständig zwischen London und Hampshire hin- und herzufahren. Er hatte in der Stadt reichlich geschäftlich zu tun. Jetzt nahm er die Gelegenheit wahr, seine Frau genauer in Augenschein zu nehmen.
Zugegeben, seine Braut, die erst seit wenigen Stunden den Status einer Gräfin hatte, überraschte ihn etwas. Natürlich machte die ganze Person, wie üblich, einen etwas chaotischen Eindruck. Einige vorwitzige hellbraune Locken hatten sich aus der Enge ihrer neuen Strohschute befreit. Eine Feder auf dem Hut hing schief. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, daß der Kiel gebrochen war. Sein Blick glitt tiefer, und da entdeckte er, daß eines der Zierbändchen an Sophys Täschchen lose baumelte.
Der Saum ihres Reisekostüms hatte einen Grasfleck. Den hatte Sophy sich zweifelsohne geholt, als ihr ein ziemlich schmuddeliger Bauernjunge eine Handvoll Blumen überreicht hatte. Das ganze Dorf war auf den Beinen gewesen, um Sophy zu verabschieden, als sie sich anschickte, in die Reisekutsche zu steigen. Julian hatte nicht geahnt, wie beliebt seine Frau in der ganzen Umgebung war.
Er war sehr erleichtert gewesen, als seine Frau ohne Murren akzeptiert hatte, daß sie Flitterwochen mit einer Menge Arbeit erwarteten. Julian hatte vor kurzem einen Besitz in Norfolk erworben, und die pflichtgemäße vierwöchige Hochzeitsreise war die perfekte Gelegenheit, die neuen Ländereien zu besichtigen.
Außerdem mußte er zugeben, daß Lady Dorring die Hochzeitsfeierlichkeiten bemerkenswert effizient inszeniert hatte. Fast der gesamte Adel der Umgebung war eingeladen gewesen. Julian hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine Bekannten aus London einzuladen. Der Gedanke, eine zweite Hochzeitszeremonie vor derselben Flut von Gesichtern über sich ergehen zu lassen, die beim ersten Debakel dabei gewesen waren, war mehr, als er ertragen konnte.
Als die Ankündigung seiner bevorstehenden Hochzeit in der Morning Post erschien, hatte man ihn mit Fragen bombardiert. Er hatte die meisten dieser impertinenten Erkundigungen ignoriert, wie er es mit solchen Ärgernissen immer zu tun pflegte.
Mit ein oder zwei Ausnahmen hatte diese Strategie funktioniert. Sein Mund wurde schmal, als er an eine dieser Ausnahmen denken mußte.
Eine gewisse Dame, wohnhaft am Trevor Square, war nicht gerade erfreut gewesen, als sie von Julians Heirat erfuhr. Aber Marianne Harwood war zu raffiniert und pragmatisch und hatte ihm lediglich eine kleine Szene geschmissen. Es gab noch mehr Fische im Teich. Die Ohrringe, die Julian bei diesem letzten Besuch mitgebracht hatte, hatten das gesträubte Gefieder von La Belle Harwood sehr rasch geglättet.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Mylord?« unterbrach Sophys ruhige Stimme seinen Tagtraum.
Julian zwang sich mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. »Mitnichten. Ich habe nur an eine kleine Geschäftsangelegenheit gedacht, die ich letzte Woche regeln mußte.«
»Das muß aber eine sehr unangenehme Geschäftsangelegenheit gewesen sein. Ihr habt sehr erbost ausgesehen. Einen Moment lang dachte ich, Ihr hättet vielleicht ein schlechtes Stück Pastete erwischt.«
Julians Lächeln war etwas mühsam. »Der Vorfall war tatsächlich von der Sorte, die einem auf den Magen schlagen kann, aber ich kann Euch versichern, daß ich jetzt wieder in ausgezeichneter Verfassung bin.«
»Ich verstehe.« Sophys erstaunlich ehrliche Augen musterten ihn noch einen Augenblick, dann nickte sie und drehte sich wieder zum Fenster.
Julian runzelte die Stirn. »Jetzt bin ich an der Reihe mit der Frage, ob etwas nicht in Ordnung ist, Sophy.«
»Mitnichten.«
Julian verschränkte die Arme über der Brust, betrachtete die Quasten an seinen glänzenden Stiefeln für einige Augenblicke, hob dann den Kopf und sagte: »Ich glaube, es wäre das Beste, wenn wir uns in ein oder zwei kleinen Dingen einig werden könnten, Madame Gemahlin.«
Sie sah ihn an. »Ja, Mylord?«
»Vor ein paar Wochen
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