Verfuhrt auf dem Maskenball
der Freude auch Scham. Sie wünschte sich, nicht an Blanche denken zu müssen, aber das war ihr unmöglich.
Blanche liebte Tyrell nicht, sie aber tat es. Trotzdem nützte es nichts, die Angelegenheit so nüchtern zu betrachten.
Tyrell gegenüber stand sie mit dem Rücken zur Wand, und so lange sie Ned nicht zurücklassen wollte, konnte sie sich ihm nicht verweigern. Aber jetzt war ihr Geheimnis sicher gewahrt. Sie war Tyrells Mätresse, und niemals würde er ihr Ned wegnehmen. Endlich spürte sie Erleichterung. Lizzie dachte zurück an die Stunden der Liebe. Manchmal waren seine Küsse so unendlich zärtlich gewesen, manchmal fordernd und beinah bedrohlich. Jetzt war sie fast sicher, dass er eine gewisse Zuneigung für sie hegte.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie allein war, und abrupt setzte sie sich auf und blickte hinüber zu der leeren Stelle, an der er gelegen hatte, voll Kummer, weil er fort war. Dann fühlte sie, dass jemand sie beobachtete.
Erschrocken sah sie über das Fußende des Bettes hinweg. Dort saß Tyrell in einem Sessel, nicht weit vom Kamin entfernt. Er war vollkommen bekleidet, hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah sie aufmerksam an. Er regte sich nicht.
Ein wenig war sie beunruhigt. Seine Miene war so ausdruckslos, seine Haltung so starr, dass er ein wächsernes Abbild seiner selbst hätte sein können. Was sollte das bedeuten? „Guten Morgen“, sagte sie und schenkte ihm ein scheues Lächeln. Dann bemerkte sie, dass sie noch immer fast nackt war, und zog das Betttuch hoch bis unters Kinn.
„Guten Morgen. Es ist nicht nötig, dass du dich bedeckst oder schämst in meiner Gegenwart. Ich sehe dich gern an.“
Lizzie errötete vor Freude. Sein Lob gefiel ihr, und doch konnte sie kaum glauben, dass er es ernst meinte. Sie wurde wieder unruhig. Noch immer lächelte er nicht, doch wirkte er auch nicht wütend – was also war los? Hatte sie ihn in irgendeiner Weise enttäuscht? „Es ist helllichter Tag“, sagte sie.
„Das stimmt“, bestätigte er.
Sie zögerte. „Sind Sie unzufrieden mit mir, Mylord?“
Endlich zuckte es ein wenig um seine Mundwinkel, auch wenn er noch nicht lächelte. „Nein. Nein, ich bin nicht unzufrieden.“ Seine Züge wirkten angespannt. „Wie fühlst du dich heute Morgen?“
Überrascht sah sie ihn an. Sorgte er sich um sie? „Recht gut, Mylord, und ich denke, Sie kennen den Grund dafür.“ Sie fühlte, wie sie errötete, und betrachtete ihre Zehen. Wie konnte sie nur so kühn sein?
Langsam erhob er sich. Während er auf sie zukam, saß sie reglos da. „Geht es Ihnen nicht gut, Mylord?“, fragte sie vorsichtig. Hatte er ihre leidenschaftliche Nacht denn nicht genießen können?
Seine Miene blieb ernst. „Wenn du wissen willst, ob ich es genossen habe, mit dir im Bett zu liegen, dann ist die Antwort darauf doch wohl offensichtlich.“
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach.
Sein Blick wurde sanfter, und behutsam berührte er ihre Wange. „Du bist die leidenschaftlichste Frau, der ich jemals begegnet bin. Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, wir passen gut zusammen, du und ich.“
Sie vermochte kaum noch zu atmen. „Und was heißt das?“
„Das heißt, es hat mir sehr gut gefallen – vielleicht zu gut.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Habe ich dir wehgetan?“, fragte er rundheraus.
Die Frage überraschte sie. „Natürlich nicht.“
„Ich möchte die Wahrheit hören, Elizabeth.“ Er zögerte. „Mir ist aufgefallen, dass du sehr lange schon nicht mehr mit einem Mann zusammen warst. Dein Körper hat meinen nicht ohne Weiteres willkommen geheißen.“
„Die vergangene Nacht war wunderschön, Mylord! Ich bedaure nichts!“
„Ich fürchte, ich schon“, sagte er tonlos.
Ungläubig sah sie ihn an. „Sie bereuen die letzte Nacht?“
„Ich bin stets stolz darauf gewesen, nicht nur ein Gentleman zu sein, sondern sehr rücksichtsvoll überdies. Letzte Nacht habe ich mich dir gegenüber nicht eben rücksichtsvoll verhalten. Tatsächlich war mein Verhalten ausgesprochen selbstsüchtig. Ich will mich bei dir entschuldigen, Elizabeth, falls du das akzeptierst.“
„Sie schulden mir nichts dergleichen! Es geht mir gut, und Sie waren mehr als rücksichtsvoll! Sie waren so sanft, so zärtlich!“
Immer noch stand er hoch aufgerichtet und reglos da. „Niemals würde ich dir wehtun“, sagte er. „Nicht absichtlich.“
„Es war unvermeidlich, oder?“, flüsterte sie und dachte an ihre Jungfräulichkeit.
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