Verfuhrt auf dem Maskenball
noch eine Schönheit, auch wenn du ein wenig dick geworden bist. Zwar beschäftigt Rory sich lieber mit Politik als mit Romanzen, aber ihm bleibt dennoch genug Zeit, um sich der Schönheit zu widmen. Ich dulde in diesem Haus keine Affäre, hast du mich gehört?“
Anna knickste und senkte den Blick. „Tante Eleanor, ich bin verlobt. Gewiss hat dir Mama davon geschrieben?“
„Natürlich hat sie das, aber du bist noch nicht verheiratet.“ Eleanor wandte sich an Lizzie. „Und für dich gilt dasselbe.“
Ehe Lizzie etwas sagen konnte, hatte sich Eleanor schon wieder Anna zugewandt. „Warum bist du so dick? Du hattest doch eine so hübsche Figur.“
Anna zögerte. „Ich habe eine Vorliebe für Schokolade entwickelt.“
„Es ist eine Schande“, sagte Eleanor rundheraus. „Wenn du zu dick wirst, verlierst du dein außerordentlich gutes Aussehen.“
Lizzie wagte einen Vorstoß, obwohl es ihr schwerfiel. „Tante Eleanor? Es ist so ein schöner Tag. Möchtest du nicht mit mir im Garten spazieren gehen?“
Eleanor drehte sich um. „Du musst mich nicht bei Laune halten. Wie alt bist du jetzt, Mädchen?“
Trotz ihrer Furcht brachte Lizzie ein Lächeln zustande. „Sechzehn, im Sommer werde ich siebzehn, Tante. Und ich würde selbst gern einen Spaziergang machen und dachte, du hättest Lust, mich zu begleiten. Aber wenn du an einem so wundervollen Tag lieber hier drin sitzen möchtest“, sie zuckte die Achseln, „dann gehe ich allein.“
„Ich dachte, du wolltest eine Pastete backen“, warf Eleanor boshaft ein.
Lizzies Herz schlug schneller. „Ich habe heute Morgen eine Apfelpastete gebacken. Wenn du nichts dagegen hast, können wir sie zu Mittag essen.“
Eleanor gab nach, fasste sich aber sofort wieder. „Du hast also die Absicht, für deinen Aufenthalt hier zu arbeiten? Ich erinnere mich an ein paar köstliche Pasteten in Raven Hall. Hast du die gebacken?“
Lizzie wagte kaum zu atmen und fragte sich, ob Eleanors Bemerkung wohl bedeutete, dass sie bleiben durften. „Ja, das war ich. Für morgen wollte ich eine Zitronentarte backen. In der Küche habe ich ein paar spanische Zitronen entdeckt. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich die nehmen.“
Eleanors Augen leuchteten, und beinah hätte sie gelächelt – doch dann merkte sie, was sie da tat, und runzelte die Stirn. „Eine Tarte ist mir lieber als eine Pastete. Aber du solltest den Koch fragen, ob er die Zitronen für etwas anderes braucht.“
„Das habe ich schon getan.“ Lizzie lächelte, und diesmal kam es von Herzen. „Er bat mich, ihm meine Backgeheimnisse zu verraten. Ich erinnere mich von deinen Besuchen in Raven Hall, dass du Tarte lieber mochtest als Pastete.“
Eleanor räusperte sich und wandte sich an Anna. „Und du? Bist du zu krank, um mir vorzulesen?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Anna, obwohl ihr Blick furchtsam blieb. „Was soll ich lesen? Oder möchtest du erst spazieren gehen?“
„Ich werde zuerst spazieren gehen“, erklärte Eleanor. „Aber wenn du willst, kannst du mir vorlesen, wenn ich zurück bin. Ich würde gern etwas über die Geschehnisse in Dublin Castle hören. Rory schreibt diese Kolumnen über die Regierungsaffären und zeichnet auch – seine Karikaturen sind sehr amüsant.“
Lizzie war überrascht. „Er ist Journalist?“
„Er ist ein radikaler Reformer“, erklärte Eleanor, „und das wird noch sein Tod sein, zumindest in gesellschaftlicher Hinsicht. Aber ja, er verdient sich den Lebensunterhalt wie ein gewöhnlicher Mensch, indem er für die Times über Regierungsaffären schreibt. Auch für seine Zeichnungen zahlen sie ihm ein kleines Honorar.“
Es war offensichtlich, dass Eleanor die Tätigkeit ihres Neffen nicht billigte, denn wahre Gentlemen beschmutzten weder ihre Hände noch ihren Ruf, indem sie für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. „Mir erschien er nicht sehr radikal“, meinte Lizzie mehr zu sich selbst. „Aber ich habe bemerkt, dass er ein Herzensbrecher ist.“
Jetzt hatte sie Eleanors Interesse geweckt. „Seine politischen Ansichten sind ausgesprochen radikal, Elizabeth. Wegen seiner extremen Meinung blieben ihm viele Türen der guten Gesellschaft verschlossen, wenn er nicht mit mir verwandt wäre.“
Dann ist Rory McBane ein glücklicher Mann, dachte Lizzie, aber sie lächelte nur.
„Aber radikal oder nicht, er ist mein liebster Verwandter“, erklärte Eleanor. Dann warf sie ihnen allen einen warnenden Blick zu. Ihre Botschaft war unmissverständlich: Wenn
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