Vergangene Narben
gesagt dem Geist meiner verstorbenen Tante Lalamika.
„Nein, das mache ich nicht … sei still.“
Meine Mutter grinste leise vor sich hin, als sich das Gesicht meines Vaters immer mehr verfinsterte.
„Nein, ich hab gesagt … na gut, hier, bitte!“ Er bewegte einen Stein, und schaute den dann finster an. „Bist du nun zufrieden?!“
Ich wandte schnell wieder den Blick ab, damit er mein Grinsen nicht sah. Meine Tante hatte es sich nämlich zu Lebensaufgabe – zur Totenaufgabe? – gemacht, meinen Vater systematisch mit ihren Kommentaren in den Wahnsinn zu treiben.
Meine Mutter bewegte einen Stein, und wurde dem meines Vaters habhaft, was nicht gerade zu seiner Laune beitrug.
„Hab ihr beide euch jetzt gegen mich verschworen?“
Mama lächelte nur. „Ach Ys-oog, sie will doch nur mitspielen.“
„Aber doch nicht in meinem Kopf, und … halt dich da raus, Lalamika!“
„Sie will dir doch nur helfen“, tadelte meine Mutter milde.
„Sie ist aber keine Hilfe, sie stört nur meine Konzentration“, murrte er. „Und das macht sie nur um dir zu helfen, und … du brauchst das gar nicht abstreiten, Lalamika, ich kenn dich in der Zwischenzeit gut genug, und weiß dass du … was?“ Er fixierte meine Mutter mit einem bösen Blick. „Hol sie da raus, bevor ich auf die Idee komme, mich einem Exorzisten auszuliefern.“
Meine Mutter grinste ihn mit großen, unschuldigen Augen an. „Das würde nicht helfen, das habe ich dir bereits mehrfach erklärt.“ Trotzdem zog sie unter ihrem Helm ihr großes Medaillon hervor. Es war eine Sonderanfertigung, die mein Vater ihr schon vor Jahren geschenkt hatte. Die ovale Form war Handtellergroß, aus Silber, und ließ sich durch einen kleinen Seitenmechanismus öffnen. In der kuppelförmigen Oberfläche aus einfachem Glas war ein filigranes Pentagramm eingearbeitet, so blass, dass man es kaum wahrnahm. Der Innenraum war hohl, und leer. Das musste er sein, da er für einen ganz besonderen Zeck gebraucht wurde.
Sie legte das Medaillon neben sich auf das Bett, und berührte die glatte Oberfläche fast liebevoll mir ihren Fingern, strich darüber, und hatte dabei diesem Lächeln im Gesicht, das sie dabei immer bekam.
Ich klaubte meine Sachen aus der Tasche zusammen, und nahm mir mein Duschzeug vom Schreibtisch. Dabei beobachtete ich meine Mutter, und musste an die Worte denken, die sie mir vor so lange Zeit gesagt hatte.
Theriantropen haben als einziges Volk der Welt die Gabe mit den Geistern zu sprechen, weil sie wirklich
sehen
können. Wir können alles sein was wir wollen, wir müssen nur daran glauben. Wenn wir glauben, dass es Geister gibt, dann sind sie da, weil sie wissen, dass wir glauben. Wir glauben, und es passiert, und wenn du glaubst, dann kannst auch du
sehen
. Du musst nur lernen zu glauben.
Ich hatte gelernt zu glauben, wusste dass es Geister gab, aber sehen konnte ich deswegen noch lange nicht, auch wenn Geister, die Schatten der Seelen, immer um uns herum waren, zu jeder Zeit, egal was wir gerade taten. Anderen mag dieser Gedanke vielleicht unangenehm sein, aber ich war damit aufgewachsen, und so störte ich mich nicht daran. Ich kannte es einfach nicht anders, doch ich hatte schon früh gelernt, dass ich Geschichten über Geister und ihrer Anwesenheit lieber für mich behielt. Wenn man den Leuten von Gespenstern erzählten, sahen die einen an, als sei man Verrückt. Dabei waren sie nur unwissend. Sie glaubten nicht, und deswegen konnten sie nicht sehen. Nicht so wie ich und meiner Familie.
Unter der Kuppel der Medaillons bildete sich ein blässlicher, weißer Nebel, der unruhig unter der Oberfläche herumwallte, als wehte da ein Lüftchen, das den Nebel durcheinander brachte.
Mein Vater schien jetzt endlich Ruhe in seinem Kopf zu haben, wenn ich den konzentrierten Ausdruck in seinem Gesicht richtig interpretierte. Er machte einen – nach seiner Ansicht – geschickten Zug, und grinste meine Mutter an, doch die hatte gerade nur Augen für das Medaillon, oder besser gesagt für das was sich darin abspielte.
Der weiße Nebel wurde dichter, und während ich nachsah, ob auch alles in meinem Kulturbeutel war, blitzte daraus ein Auge hervor, das seine Umgebung neugierig inspizierte.
„Ich geh dann Duschen“, sagte ich, und freute mich irgendwie über das Brummen meines Vaters. Wenigstens ignorierte er mich nicht mehr.
Meine Mutter fummelte an dem Öffnungsmechanismus des Medaillons herum, und schimpfte leise, dass er schon wieder klemmte. So lange, bis mein Vater ihr
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