Vergangene Narben
nur da draußen, auch hier drinnen hätte man eine Grille husten hören – wenn es hier denn eine erkältete Grille gegeben hätte. Alle Blicke waren gespannt auf den Garten gerichtet, einschließlich meinem eigenen. Und dann, aus tiefster Nacht tauchte ein einzelner Wolf auf. Langsam, gefährlich. Sydney.
Unter seinem Fell spielten die Muskeln, und ich wusste nicht ob es an der geheimnisvollen Art war, wie er auftauchte, oder an dem durchdringenden Blick den er auf mich gerichtet hatte, aber in diesem Moment war er wohl der schönste Wolf, den ich jemals gesehen hatte. Zum ersten Mal seit ich ihn kennengelernt hatte, verstand ich, was Cheyenne an diesem Mann fand.
Er verließ die Ebene nicht, schaute nur zu mir herunter.
„Tanzt mit uns, Prinzessin“,
raunte er in meinen Gedanken, und warf den Kopf in den Nacken. Sein Heulen, das von den Wänden des Saals wiederhalte war so durchdringend, dass ich davon eine Gänsehaut bekam. Und dann strömten zu beiden Seiten von ihm Wölfe in allen möglichen Farben aus dem Garten in den Saal.
Ihre Krallen klickten auf dem Marmorboden, als sie sich um mich herum in einem Kreis aufbauten, und gerade als Sydney sein Heulen beendete, begannen diese Wölfe mit ihrem Mondgesang. Töne, die mich bis in mein Innerstes erreichten, und den Wolf in mir kitzelten.
Das Streichorchester begann wieder zu spielen, eine wilde, unbändige Melodie zum Heulen der Wölfe, und in diesem Moment begannen die Wölfe zu tanzen. Synchron drehten und sprangen sie um mich herum. Schwenkten die Köpfe von einer Seite auf die andere, nur um sich dann um die eigene Achse zu drehen, und Laute passend zu der Musik auszustoßen.
Das zu sehen, wie sie hier um mich herum sprangen, das berührte etwas in mir. Es war wie ein Drang, dem ich mich nicht erwehren konnte, als ich meinen Kopf in den Nacken legte, und in den Gesang mit einstieg.
Der Tanz wurde wilder, ungezügelter. Die Wölfe sprangen übereinander, rollten sich über den Boden, aber nie verschwand diese Symmetrie aus ihren Bewegungen. Sie waren eine Einheit, bewegten sich wie ein einziges rohes Wesen. Immer und immer wieder. Die Bewegungen wurden schneller, bis sie abrupt anhielten, und erneut ihren durchdringenden Gesang hören ließen.
Meine Haut kribbelte, und ich spürte, wie sich die Zähne in meinem Mund veränderten, wie meine Fingernägel dicker und dunkler wurden. Mein Wolf – ich – wollte teilhaben an diesem Fest. Ihr Lied, ihre Bewegungen drängten mich zur Verwandlung. Nein, nicht jetzt, nicht hier. Verdammt! Seit der Vollmondjagt hatte ich mich nicht mehr verwandelt. Das waren nur zwei Tage gewesen, nur zwei, aber für mich war es zu viel Zeit. Die Reizüberflutung die hier über mich erging war zu viel. Ich konnte es nicht stoppen, ich würde mich verwandeln …
„Still!“, brandete da eine machtvolle Stimme durch den Saal, und sofort verstummten die Wölfe – und auch die Musik. Das war Cheyenne gewesen. Sie hatte an einem Tisch am Rande der Fensterfront Platz genommen, wo auch Alina und ihre Eltern saßen. Sie hatte offenbar erkannt, was mit mir los war, doch es half nicht viel. Der Wolf lauerte bereits dicht unter der Haut.
Ich atmete hecktisch, spürte meinen Herzschlag gegen mein Brustkorb hämmern, und war mir der vielen Augen auf mir nur allzu deutlich bewusst.
„Prinzessin Zaira?“
Ich sah auf, sah in diese urtümlichen Wolfsaugen von Sydney.
„Kommt zu mir, Prinzessin. Bleib ganz ruhig, und atmet tief ein. Dann kommt zu mir.“
Okay, ruhig bleiben, tief durchatmen, und dabei auf ihn zugehen. Sollte doch eigentlich nicht so schwer sein, oder? Ich bemühte mich, bemühte mich redlich.
Ganz ruhig,
sagte ich mir,
ich kontrolliere den Wolf, nicht er mich. Ich kann das, das hab ich schon oft getan.
Einatmen, ausatmen.
Das Kribbeln auf meiner Haut schwächte ab, und so trat ich den ersten Schritt auf Sydney zu. Meine Zähne schrumpften – ein zweiter Schritt. Vor mir öffnete sich der Kreis der Wölfe. Die Krallen wurden wieder kürzer – ein dritter Schritt.
Mit jedem Schritt den ich auf ihn zumachte, wurde meine Kontrolle etwas besser, bis ich schließlich vor ihm stand, und wieder eine normale Prinzessin war – naja, so normal wie es in meinem Fall eben ging.
Sydney senkte sein Haupt ein wenig, ließ mich dabei aber nicht aus den Augen.
„Ich danke Euch für diesen Tanz, Prinzessin Zaira.“
Tanz? Mein Mundwinkel zuckte. Um ein Haar wäre das hier ein völliges Desaster geworden. „Nicht du musst dich bedanken,
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