Vergangene Narben
und zog den Kragen seines Pullis so weit runter, das ein kleiner Teil blanker Haut frei wurde. „Was meinst du, würde mir das stehen?“ Er drehte sich ein bisschen nach links, dann ein bisschen nach rechts, damit ich ihn auch von allen Seiten inspizieren konnte.
Meine Augen wurden feucht. Wie er da so ausgelassen vor mir rumhampelte … ich konnte gar nichts dagegen tun, dass ich plötzlich undicht wurde, und eine Träne über meine Wange kullerte.
„Hey, nicht weinen“, sagte Cio beinahe entsetzt. „Wenn das wirklich so schrecklich aussieht, dann lass ich das mit dem Hemd. Versprochen. Hier.“ Er hielt mir seinen kleinen Finger hin. „Indianerehrenwort.“
„Du bist ein Idiot“, warf ich ihm vor, schlug seine Hand weg, und schlang dann einfach die Arme um seinen Hals. Nur einmal wollte ich ihm so nahe sein, ein einziges Mal das Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben, und sein Geruch tief einatmen. Nur einmal seine Wärme spüren. Und als er dann ohne zu zögern die starken Arme um mich legte, und mich sanft an sich drückte, wollte ich diesen Moment so lange wie möglich herauszögen. „Ich werde dich vermissen.“ Und wie sehr ich ihn vermissen würde, konnte er sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen.
„Ach komm schon, Zsa Zsa, ich bin ja nicht aus der Welt. Hier.“ Er schob mich halb von sich, um mit einer Hand an seine Hosentasche zu gelangen. Mit geschickten Fingern fischte er einen kleinen Zettel heraus, den er mir vor die Nase hielt. „Du kannst mich anrufen.“
Eine Telefonnummer. Er hatte mir seine Telefonnummer aufgeschrieben, weil er wollte, dass wir in Kontakt blieben. Aber das durften wir nicht. Ich wollte meinen Vater kein zweites Mal enttäuschen. Und mit Cio zu sprechen, dass würde einfach … nein, das konnte ich nicht.
Ich glaubte nicht, dass mir in meinem Leben schon mal etwas so schwer gefallen war, wie in diesem Moment meine Arme von Cio zu lösen, und seine Hand mit dem Zettel darin zu schließen. „Ich werde nicht anrufen, Cio. Ich werde nie wieder herkommen“, sagte ich leise, und trat von ihm zurück. Nur ein letzter Blick noch in diese traurigen Augen, die sonst so vor Leben und Freude sprühten, dann drehte ich mich um, und verbot mir noch einmal zu ihm zurückzusehen. „Mach´s gut. Elicio, du römischer Gott“, flüsterte ich so leise, dass er es vermutlich gar nicht gehört hatte, und ging dann mit langsamen Schritten auf meine Eltern zu.
Ich konnte seinen Blick in meinem Rücken spüren, aber ich würde nicht zurücksehen. Das hier war ein Abschied für immer, und es würde nicht einfacher werden, wenn ich den Augenblick hinauszögerte. Mein Vater sollte also mal wieder recht behalten.
Alina saß bereits mit Flair auf dem Schoß im Wagen, als ich zu den anderen kam, und Cheyenne vorsichtig entgegen lächelte.
Sie machte den Mund auf. Einmal, zweimal, dreimal, aber kein Tin kam heraus. Letzten Endes riss sie mich einfach in eine Umarmung, und drückte mich fest an sich. „Ich will nicht dass du gehst“, weinte sie mir ins Ohr. „Ich muss dich doch noch richtig kennenlernen. Bitte geh nicht.“
Oh Gott, warum musste sie das so sagen? Ich konnte dich nicht bleiben.
„Cheyenne“, mahnte meine Vater mit harter Stimme.
Meine Erzeugerin hatte sich so schnell von mir gelost, und war zu Papa herumgefahren, dass ich fast auf die Nase fiel. „Halt dich da raus, Raphael! Nur einmal in deinem Leben solltest du einfach die Schnauze halten, und dich nicht einmischen, kapiert?!“, schrie sie ihn an. Dabei liefen ihr dicke Tränen über die Wangen. „Nur ein Mal.“
Mein Vater drückte die Lippen aufeinander.
„Königin Cheyenne“, wagte sich da ein mutiger Türstehersoldat an sie heranzutreten. Alejandro. „Wegen dem Einbruch, wir haben …“
„Sehe ich so aus, als wenn ich jetzt Zeit für sie hätte?!“, fauchte sie ihn an.
„Cheyenne“, sagte Sydney sanft.
„Scheiße!“, fluchte sie, wischte sich die Tränen aus den Augen, und machte hastig ein paar Schritte von uns weg. Sydney folgte ihr sofort.
„Was für ein Einbruch?“, wollte ich wissen.
Ayden zögerte, sah kurz zu seiner Mutter, und rieb sich dann über das Kinn. „Gestern Abend während des Maskenballs ist jemand in Sydneys Arbeitszimmer eingebrochen, und hat wohl ein paar äußerst wichtige Bücher gestohlen. Sie waren wohl in einem Tresor im Boden eingeschlossen, aber heute Morgen waren sie weg.“
„Bücher?“ Was konnte an Büchern denn so wertvoll sein, wenn sie nicht gerade antik waren?
„Ich
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