Vergangene Narben
berührte, und senkte einfach den Blick. Ich wollte nicht für weitere Unruhen verantwortlich sein.
Neben mir schnaubte Cio abfällig. „Das war ja jetzt klar“, grummelte er, und machte es für mich damit nicht gerade besser. War er jetzt sauer auf mich? Weil ich mich nicht von ihm berühren lassen wollte? Ich verschränkte die Arme vor der Brust, und rückte ein Stück von ihm weg. Dabei ignorierte ich, wie seine Kiefer verärgert aufeinander mahlten.
Heute war sowieso alles schief gegangen. Ich hatte uns nach Italien geführt, in der Hoffnung meine Eltern zu finden. Stattdessen hatte ich dafür gesorgt, dass wir uns mit Therianthropen anlegten, gerettet werden mussten und zum Schluss ein Bad im Meer nahmen. Das Cio jetzt auch noch sauer auf mich war, tat weh, aber rundete den Tag doch perfekt ab.
Ich sah rüber zu Alina, die sich müde an Ayden gelehnt hatte. Ihre Hand zog kleine Kreise auf seinem Knie, was er sich wohlwollend gefallen ließ. Erst als ihre Finger etwas hör wanderten, griff er nach ihrer Hand. Aber nicht nur um sie aufzuhalten, sondern auch, um ihr einen hauchzarten Kuss auf den Handrücken zu hauchen, und anschließend seine Hand mit ihrer zu verschränken. Dabei sah er sie nicht an, und doch hatte diese Handlung etwas sehr Vertrautes. Wenigstens konnte sie sich jetzt nicht mehr beschweren, dass er sie ignorierte.
Mein Blick glitt weiter zu Kian, der die gleiche Haltung angenommen hatte, wie Cio. Verschränkte Arme, Blick starr aus dem Fenster, und seine Kiefer mahlten so stark, dass ich Angst um seine Zähne bekam. Natürlich hatte er auch gesehen, was Ayden da mit Alina tat, und es passte ihm überhaupt nicht.
Seufz.
Ich zog die Beine an den Körper, schlang die Arme darum, und bettete mein Kinn darauf. Heute war wirklich alles schief gelaufen, was nur schieflaufen konnte. „Es tut mir leid“, flüsterte ich, und wusste selber nicht genau, bei wem ich mich entschuldigte. Vielleicht bei Diego, weil wir uns in diesen unruhigen Zeiten einfach davon gemacht hatten, und damit allen Sorge bereitete hatten. Vielleicht bei Cio, weil ich nicht so sein konnte, wie er es sich vorstellte. Vielleicht bei Kian, bei dem wieder nichts so lief, wie er es wollte. Aber vielleicht meine ich auch meine Eltern, die ich weder hatte finden noch retten können.
Eine Träne lief über meine Wange, doch bevor es jemand bemerken konnte, vergrub ich mein Gesicht an meinen Knien, während der Wagen unter mir leise brummte. „Es tut mir leid“, wiederholte ich leise, und konnte nicht verhindern, dass mir ein ersticktes Schluchzen entwisch. Alles war so furchtbar schief gelaufen. Ich hatte Stunden und Tage damit vergeudet, einer falschen Spur zu folgen, und jetzt würde ich meine Eltern vermutlich nie wieder sehen. Drei Tage war es her, dass die Therianthropen in unsere Wohnung eingedrungen waren. In der Zwischenzeit konnten sie überall sein.
In der Zwischenzeit konnten sie tot sein.
Das zweite Schluchzen ließ nicht lange auf sich warten, und auch nicht das dritte. Ich hatte alles falsch gemacht, und nun war alles verloren.
Als sich seufzend zwei Arme um mich legten, lief ich es einfach geschehen, doch nicht mal diese tröstende Umarmung von Cio konnte den Schmerz wirklich lindern.
Ich hatte es vermasselt.
Endgültig.
°°°
Die leise Fahrstuhlmusik, die uns hinauf in die siebente Etage des Hotels begleitete, war wie eine Verspottung meiner Gefühle. Sanft, friedlich, glücklich. Alles was ich im Moment nicht war, und wahrscheinlich auch nie wieder sein würde.
Der Aufzug war für so viele Leute wirklich zu eng. Wir alle sahen mehr oder weniger Erschöpft und zerknittert aus, doch das war nichts im Vergleicht zu dem wie ich mich fühlte.
Ich beobachtete die Leuchtanzeige, um kein der anderen ansehen zu müssen. Drei … vier … fünf …
Eine Berührung an meiner Hand ließ mich die Arme fester um den Körper schlingen. Ich wollte gerade von niemanden angefasst werden, aber ganz besonders nicht von Cio. Nicht wenn ich daran dachte, dass seine Arme gestern Nacht im Wagen alles gewesen waren, was mich zusammengehalten hatte.
Lange hatte ich an seiner Brust geweint. Bis die Tränen versiegt waren, und ich vor Erschöpfung einfach eingeschlafen war. Aber viel schlimmer war das aufwachen gewesen. Er hatte halb ausgestreckt auf dem Rücken gelegen. Die Augen geschlossen, der Mund leicht geöffnet, hatte er ruhig geatmet, und mich dabei immer noch im Arm gehalten. Mein Ohr an seiner Brust, sein gleichmäßiger
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