Vergangene Narben
zappeliger. Und als dann endlich die ersten Häuser von Tenor in Sicht kamen konnte ich nur denken,
hier lebt sie, hier wohn meine Erzeugerin.
„Na, nervös?“
Es gab kein Ortsschild, dass drauf hindeutete, welche Stadtgrenze wir hier gerade überfuhren. Da waren einfach plötzlich die Häuser. Und es wurden immer mehr. Einfamilienhäuser mit weißen Gartenzäunen. Eine kleine Vorstadtsiedlung, umgeben von hohen Wäldern, die zu einer Kleinstadt versteckt in den Alpen wurde. Dass es so etwas geben konnte.
„Ein bisschen“, gab ich zu. Warum noch lügen? Er wusste doch sowieso schon warum ich hier war. Und ich wurde wirklich langsam ein wenig nervös.
Die Häuser an denen wir vorbeifuhren waren nicht anders als die der Menschen. Manche Fenster waren noch erhellt, in dem Licht der Laternen huschten Gestallten durch die Nacht, tierische Gestalten, Werwölfe.
Den Anblick wie sie dort einfach auf offener Straße vorbeihuschten, fand ich so faszinierend, dass ich meinen Blick nicht abwenden konnte, bis wir an ihnen vorbeigefahren waren. Es waren nicht die ersten Werwölfe, die ich in meinem Leben sah. Hin und wieder packte Tante Amber mich in ihren Wagen, und fuhr mit mir in den Wald. Auch mit Onkel Tristan und seiner Familie hatte ich schon solche Ausflüge gemacht, doch das war immer weit ab der Zivilisation gewesen, wo keine andere Seele zu finden war.
Das hier war etwas ganz anderes.
„Soll ich dich direkt zu ihr fahren?“, unterbrach Jaden meine Gedanken. „Also, zu deiner Mutter?“
„Was? Nein, auf keinen Fall!“ Ich stockte kurz. Mist, das war wohl etwas zu panisch rausgekommen. „Ich meine, nein, ich … ich werde sie erst morgen aufsuchen.“
Wenn du mit deiner Neugierde weit weg bist, und ich nicht Gefahr laufe aufzufliegen.
Gott, warum hatte ich ihm nur gesagt, warum ich herkommen wollte? Ach ja, weil er ein mieser Hund mit intriganten Tricks war.
„Okay.“ Er fuhr etwas langsamer. „Wahrscheinlich besser so. Aber dann stellst sich mir die Frage, wo soll ich dich dann hinfahren.“
Ja, das war eine ausgezeichnete Frage. Bei all der Freude darüber dass ich heute noch nach Tenor kam, hatte ich ganz vergessen mir Gedanken darüber zu machen, wo ich die Nacht verbringen konnte. Die Nacht auf ´ner Bank im Park zu schlafen, fiel aus zwei Gründen aus. Erstens: Es schneite, und nachts war es selbst mir zu kalt, und zweitens – und viel wichtiger – es musste höllisch unbequem sein. Und da ich in Tenor ja auch niemanden kannte, blieb wohl nur noch eine Möglichkeit übrig. „Gibt es hier sowas wie ein Hotel?“
Er warf mir einen Blick zu, der mich eindeutig frage, ob das mein Ernst war. „Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, das hier ist eine ganz normale Kleinstadt.“
„Ja, eine ganz normale Kleinstadt voller Werwölfe und Vampire.“ Gut, ich hatte hier zwar noch keine Vampire gesehen – jedenfalls nicht bewusst – aber ich ging jetzt einfach mal davon aus.
„Du hast die Werkatzen vergessen.“
„Werkatzen?“ Ich runzelte die Stirn. „Du meinst Therianthropen?“ Hatte meine Mutter mir nicht erzählt, dass die sich von den anderen fernhielten und lieber für sich lebten, oder hatte ich da etwas missverstanden? Ich konnte mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass in irgendeiner Erzählung meiner Eltern um diese Verborgenen Orte mal die Rede von Therianthropen gewesen war.
„Natürlich, was denn sonst? Oder meinst du die nette Nachbarin von nebenan verwandelt sich mal ganz plötzlich in einen kleinen Stubentiger?“
Wundern würde es mich nicht wirklich. „Ich hatte nur gedacht, dass in diesen Orten nur Vampire und Werwölfe leben.“
„Bis vor ein paar Jahren war das auch noch so.“ Jaden setzte den Blinker, und fuhr dann nach links in eine kleine Seitenstraße. „Du hast doch sicher schon von der Verrücken Königin gehört?“
War das ´ne Fangfrage? „Ja.“ Und nur so nebenbei, sie war nicht verrückt – auch wenn das alle glaubten. Sie hatte in ihrem Leben halt nur viel durchgemacht, und das hatte seine Spuren hinterlassen.
„Naja, irgendwie scheint die ziemlich dicke mit den Therianthropen, und vor einigen Jahren sind die immer mal wieder hoch zum Schloss gekommen.“
„Das Schloss?“
Ein kurzer Seitenblick, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. „Ja, Schloss, der Ort wo die Königin lebt.“
„Ha ha, eigentlich war mit der Frage gemeint, wo das Schloss ist.“
Er grinste. „Also eine kleine Touri-Führung?“
Nein, das Schloss reichte schon.
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