Vergangene Schatten
Zum einen bedeutete es, dass die Möglichkeit, mit Matt zu schlafen, von vornherein ausschied, so dass sie sich auch nicht den Kopf darüber zerbrechen musste, ob es nun eine gute Idee wäre oder nicht; zum anderen war sie auf diese Weise praktisch nie allein, außer wenn sie einmal auf die Toilette ging.
So dankbar sie für diese »Schutzhaft« war, wie Matt es offiziell bezeichnete, und so schwer es ihr auch gefallen wäre, in dieser Situation allein zu sein, so nervenaufreibend wurde es mit der Zeit, sich praktisch verstecken zu müssen und kein normales Leben mehr führen zu können. Das Erste, was ihr zu schaffen machte, war der Verlust ihrer Privatsphäre. Sie zweifelte nicht daran, dass die Situation auch für die anderen nicht einfach war. Matts Schwestern verhielten sich großartig, und Carly konnte sie wirklich gut leiden, doch die Tatsache, dass zwei fremde Frauen bei ihnen im Haus lebten, zumal Erin sich gerade auf ihre bevorstehende Hochzeit vorbereitete, war bestimmt nicht einfach für sie. Dazu kam noch, dass immer ein Sheriff-Stellvertreter bei Carly im Haus war und dass auch die anderen so oft sie es einrichten konnten zum Essen vorbeikamen, nachdem jetzt wieder Sandra kochte. Für zusätzliches Spektakel sorgten Hugo und Annie, die sich zumindest einmal am Tag eine wilde Verfolgungsjagd durch das ganze Haus lieferten. Das Gute war, dass man inmitten dieses Trubels unmöglich Angst haben konnte; das Schlechte war, dass es einem ziemlich auf die Nerven ging.
Matt selbst kam nur zum Schlafen nach Hause. Er legte sich für gewöhnlich um Mitternacht auf die Couch und verließ um sechs Uhr morgens das Haus. Er arbeitete, wie Mike Toler ihnen einmal verriet, fast schon rund um die Uhr, was aber auch auf seine Kollegen zutraf. Sie hatten jede Menge Fälle aufzuarbeiten, außerdem verbrachte Matt jede freie Minute damit, irgendwelchen Hinweisen nachzugehen, die zur Auffindung des Mannes führen konnten, der Carly und Sandra überfallen hatte. Bisher jedoch ohne Erfolg, wie Antonio mit verdrießlicher Miene mitteilte, als er wieder einmal an der Reihe war, auf Carly aufzupassen. Eine der vielversprechendsten Spuren, die sie verfolgten, war das Taschentuch, das der Täter verloren hatte. Es war mit Chloroform getränkt und hatte drei Initialen aufgestickt - mit ziemlicher Sicherheit ein Monogramm. Das Problem war, dass das Taschentuch schon so alt und abgenutzt war, dass es sich bei den Initialen um verschiedene Buchstabenkombinationen handeln konnte - entweder BLH, RIH, RLH oder BIH. Es war sogar möglich, dass das abschließende H in Wirklichkeit ein A war. Man versuchte jedenfalls, den Hersteller des Tuches zu finden, um auf diesem Weg die Aufschrift zu entziffern. Dasselbe Ziel verfolgte man mit einer Computeranalyse. Jedenfalls konnte weder Carly noch sonst jemand mit irgendeiner der möglichen Buchstabenkombinationen etwas anfangen. Ohne diesen Hinweis kam praktisch ein Viertel der männlichen Einwohnerschaft von Georgia als Täter in Frage, plus einer Hand voll Kerle, die Carly aus ihrer Zeit in Chicago kannten und die es aus irgendeinem Grund auf sie abgesehen haben mochten.
All das erschien jedoch nicht wirklich vielversprechend, so dass Carly schließlich am Donnerstag beschloss, mit Matt darüber zu reden, dass sie nicht ewig auf diese Art weiterleben konnten. Irgendwann musste man wieder zu einem normalen Leben zurückkehren. Am Freitag wartete sie immer noch auf eine Gelegenheit, mit Matt zu sprechen. Das Warten ging auch am Samstag weiter und wurde umso quälender. Wenn sie sich nicht aufraffte und um zwei Uhr nachts zu ihm hinunterging und ihn aus dem Schlaf rüttelte, sah es gar nicht danach aus, als könnte sie bald einmal ein paar Worte mit ihm unter vier Augen wechseln. Es sprach im Grunde nichts dagegen, Matt mitten in der Nacht zu wecken, außer dass sie das kaum ungestört würde machen können. Möglicherweise wachte Sandra auf und würde wissen wollen, wo sie hinging; außerdem konnte jederzeit eine der Schwestern von ihrem Freund nach Hause kommen und sie in ihrem Gespräch stören. Es konnte sogar sein, dass sich alle vier Frauen oben an der Treppe versammelten, um mit anzuhören, worüber sie mit Matt sprach. Doch Carly hoffte, dass sich am Samstag Abend eine günstige Gelegenheit ergeben würde, wenn die Mädchen ausgehen würden und Antonio Sandra zum Essen ausführte - als kleines Dankeschön für die vielen ausgezeichneten Mahlzeiten, die er ihr verdankte.
Doch das Glück
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