Vergangene Schatten
gehen, vielleicht irgendwohin gehen, wo man Musik hören kann, und erst spät wieder heimkommen. Das heißt, falls du keine anderen Pläne hast.«
»Du willst mit mir ausgehen?«, fragte er erschrocken und schien etwas weiter zu seinem Ende der Couch zu rücken.
Carly war keineswegs beleidigt, sondern lachte nur. »Keine Angst. Hör zu ...«
Und so gingen sie ins Corner Cafe zum Essen, das, wie immer am Samstag Abend, brechend voll war. Bevor sie einen Tisch bekamen und sich etwas abseits in eine kleine dunkle Nische setzten, was für Carly eine absolute Notwendigkeit war, kamen sie ungefähr mit der halben Stadt ins Gespräch. Alle, die sie sahen, waren erstaunt, wenngleich es nicht alle offen zeigten. Carly wurde mit gezielten Fragen wie etwa Wie geht's dem Sheriff? oder Wo ist denn Matt? konfrontiert, während Mike so manchen vorwurfsvollen Blick hinnehmen musste.
»Du bringst mich in Schwierigkeiten«, murmelte er, während sie sich bei ihm unterhakte und nach links und rechts winkte, als sie schließlich das Lokal verließen. »Morgen früh weiß es die ganze Stadt.«
»Das ist ja der Sinn der Sache«, sagte Carly und musste sich bemühen, nicht verärgert zu klingen. Mike war ein netter Kerl, aber für einen aufregenden Abend zu zweit fehlte ihm ein wichtiges Detail: Er war ganz und gar nicht aufregend. Wenn Erin ihn wollte, würde Carly ihn ihr bestimmt nicht streitig machen. »Okay, was machen wir als Nächstes?«, fragte sie.
»He, das war deine Idee.«
Also, besonders viel Initiative zeigte der Mann nicht gerade.
»Okay, stell dir einfach vor, ich wäre Erin«, sagte sie. »Wenn du mit mir einmal so richtig toll ausgehen wolltest, wohin würdest du dann mit mir gehen?«
Er sah sie etwas unsicher an. »Wegen dir werde ich vielleicht gefeuert. Matt wird ziemlich sauer auf mich sein.«
»Wenn du Glück hast, wird Erin genauso sauer sein. So viel ich gesehen habe, sind sich die zwei in manchem recht ähnlich.«
»Ist dir das auch aufgefallen?«, sagte Mike, und seine Miene hellte sich ein wenig auf. »Wenn du Erin wärst, würde ich mit dir ins Savannah gehen.«
Das klang ja recht vielversprechend. Matt kam für gewöhnlich um Mitternacht nach Hause, und sie hatte gehört, wie Erin zu Dani gesagt hatte, dass sie auch um diese Zeit heimkommen würde, weil sie am nächsten Morgen früh in die Kirche musste, um noch mit der Organistin über die Musik zu ihrer Trauung zu sprechen. Die Vorstellung, dass Erin wissen würde, wie lange er mit Carly aus war, bewog Mike schließlich, es zu wagen. Sie fuhren ins Savannah, setzten sich an die Bar und lauschten der Musik. Sie tanzten nicht, weil keiner der beiden die geringste Lust hatte, mit dem anderen zu tanzen, und fuhren schließlich spät nachts nach Benton zurück. Es war alles in allem nicht gerade ein toller Abend zu zweit gewesen - doch allein die Tatsache, dass es schon zwei Uhr war, als Mike mit seinem Wagen vor Matts Haus vorfuhr, machte das Unternehmen zu einem Erfolg.
Matts Streifenwagen stand schon da. Carly lächelte zufrieden, als sie den schwachen Lichtschein durch die Vorhänge sah, was bedeutete, dass drinnen noch jemand auf war. Es gab für sie nicht den geringsten Zweifel, wer dieser Jemand war.
»Matt wird mich umbringen«, sagte Mike nervös. Er ließ Carly den Vortritt, als sie zur Tür gingen, was weniger Höflichkeit als vielmehr Feigheit war, wie Carly bewusst war.
»Nein, das wird er nicht tun. Matt und ich sind ja nicht einmal ein Paar, um Himmels willen. Und vergiss nicht - wir zwei haben uns heute Abend prächtig amüsiert. Also mach bitte kein so finsteres Gesicht«, zischte ihm Carly zu und holte den Schlüssel aus ihrer Handtasche hervor. Sie trug einen kurzen schwarzen Rock und ein schwarzes T-Shirt, was sie, wenn sie ihre volle Garderobe zur Verfügung gehabt hätte, nie im Leben kombiniert hätte; ihrer Ansicht nach sah sie damit ein klein wenig verrucht aus, was aber für diesen Anlass nicht ungelegen kam. Außerdem hatte sie sich schwarze Stöckelschuhe von Erin »ausgeliehen«, die ihre Größe hatte, und Ohrringe von Sandra angelegt. Sie glättete ihren Rock und rückte ihr T-Shirt zurecht, um sicherzugehen, dass nicht zu viel Haut zu sehen war, und holte tief Luft. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss.
Als sie die Tür öffnete, drang ihnen ein Stimmengewirr entgegen. Doch noch ehe sie eintreten konnten, herrschte plötzlich Stille, abgesehen von Annie, die schwanzwedelnd zur Tür gestürmt kam, und den
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