Vergangene Zukunft
zwischen ihnen wie ein unsichtbarer, unerklärbarer Wirbelwind und sucht sie mit Tod und Vernichtung heim. Aber für die Ameisen ist das völlig in Ordnung. Sie glauben, die Vernichtung sei ganz einfach ihre Strafe für begangene Untaten. Und der Ameisenfresser weiß womöglich gar nicht, daß er eine Gottheit ist. Er kümmert sich wahrscheinlich gar nicht darum.«
Winthrop war blaß geworden.
»Ich weiß, daß du das alles nur sagst, um mich zu ärgern. Und ich bedaure es, daß du das Heil deiner Seele für ein flüchtiges Amüsement riskierst. Aber ich will dir eines sagen.« Seine Stimme zitterte leicht. »Und ich meine es völlig ernst. Die Fliegen, die dich ständig quälen, sind deine Strafe in diesem Leben. Beelzebub glaubt wie alle bösen Mächte, daß er nur Böses tut. Aber in diesem Fall tut er letztlich Gutes. Beelzebubs Fluch verfolgte dich nur zu deinem Besten. Vielleicht bringt er dich doch noch zur Einsicht, und du wirst dein Leben ändern, bevor es zu spät ist.«
Er rannte aus dem Zimmer. Casey blickte ihm nach, dann sagte er lachend: »Ich sagte dir doch, daß Winthrop an den Beelzebub glaubt. Komisch, in welchen Verkleidungen sich doch der Aberglaube zeigt!« Sein Gelächter brach abrupt ab.
Zwei Fliegen waren im Raum. Durch den Dunst surrten sie auf ihn zu.
Polen erhob sich und verließ deprimiert das Zimmer. In einem Jahr hatte er so wenig und doch viel zu viel gelernt. Seine Maschinen konnten die Gefühle der Tiere genau analysieren, aber er beschäftigt sich bereits viel zu intensiv mit den Gefühlen der Menschen.
Er wollte nicht die wilden Mordgelüste miterleben, wo andere doch nur einen harmlosen, unwichtigen Streit sahen.
Plötzlich sagte Casey: »Hör mal, Polen, du hast doch mit einigen meiner Fliegen experimentiert, wie Winthrop sagt. Was hast du dabei herausgefunden?«
»Nach zwanzig Jahren kann ich mich wohl kaum daran erinnern«, murmelte Polen.
»Aber du mußt dich doch erinnern«, sagte Winthrop. »Wir waren in deinem Laboratorium, und du beklagtest dich, daß Caseys Fliegen ihm sogar dorthin folgten. Er schlug dir vor, sie zu analysieren, und du tatest es. Eine halbe Stunde lang beobachtetest du ihr Summen, ihre Bewegungen, ihr Flügelschlagen. Du hast das mit einem Dutzend verschiedener Fliegen gemacht.«
Polen zuckte mit den Schultern.
»Nun ja«, sagte Casey, »es macht ja nichts. War nett, dich zu sehen, alter Knabe.« Herzliches Händeschütteln, ein Schlag auf die Schulter, ein breites Grinsen – Polen spürte aus all dem, wie krank es Casey machte, daß er, Polen, letztlich doch »Erfolg« gehabt hatte.
»Laß mal von dir hören«, sagte Polen. Leere Worte. Sie bedeuteten nichts. Casey wußte es. Polen wußte es. Aber Worte waren dazu da, um Gefühle zu verschleiern, und wenn ihnen das nicht gelang, so trat die Menschlichkeit loyal an ihre Stelle.
Winthrops Händedruck war sanfter.
»Jetzt haben wir alte Zeiten wieder wach werden lassen, Polen«, sagte er. »Wenn du mal nach Cincinnatti kommst, dann besuch mich doch. Du bist stets willkommen.«
Aus seinen Worten atmete förmlich die Erleichterung, Polen so deprimiert zu sehen. Polen fühlte das. Die Wissenschaft ist wohl doch nicht der Weisheit letzter Schluß, mochte Winthrop denken, und seine unausrottbare Unsicherheit fühlte befriedigt, daß sie nicht allein dastand.
»Das will ich gern tun«, sagte Polen. Das war die höfliche Umschreibung für »Ich werde es nicht tun«.
Er beobachtete, wie die beiden getrennt zu anderen ehemaligen Kollegen gingen, die in Gruppen beisammenstanden.
Winthrop würde es niemals wissen. Dessen war sich Polen ganz sicher. Er fragte sich, ob Casey es jemals wissen würde. Es wäre der Witz des Jahrhunderts, wenn Casey es nicht wüßte.
Er hatte Caseys Fliegen untersucht. Nicht nur dieses eine Mal, sondern viele Male. Und jedesmal hatte er dasselbe Ergebnis erzielt! Immer dasselbe Ergebnis, das er nicht veröffentlichen konnte.
Mit kaltem Schauder, den er nicht ganz unterdrücken konnte, entdeckte Polen plötzlich die einzelne Fliege, die verloren auf dem Boden umherkroch, sich ziellos um sich selbst drehte und dann in geradem Flug in die Richtung steuerte, die Casey soeben eingeschlagen hatte.
Konnte es sein, daß Casey es nicht wußte? Konnte es die Essenz seiner uranfänglichen Strafe sein, daß er niemals erfahren sollte, wer er war? Beelzebub! Casey, der Gott der Fliegen!
So ein wunderschöner Tag
Wir alle haben unsere liebenswerten Exzentrizitäten, und
Weitere Kostenlose Bücher